Jüdisches Leben, von außen betrachtet, ist eine komplizierte Sache, schließlich ist es eingebettet in ein Netz detaillierter Vorschriften und Riten. An diesem Freitagabend im Kulturzentrum Giesinger Bahnhof ist dagegen alles ganz einfach: An Stelle einer akademischen Einführung in den Schabbat zitiert Terry Swartzberg im proppenvollen Saal den New Yorker Rabbi Mordechai Kaplan, der ihn ein "Königreich des Teilens und der Harmonie" nannte, "das aus 24 Stunden besteht".
Die Segenssprüche für das Anzünden der Kerzen, den Wein (beziehungsweise Traubensaft), das Brot und das rituelle Händewaschen werden kurz erläutert. Das einzige, was die Gäste aktiv beitragen sollen, ist, die Gebetsformeln mit dem bekannten "Amen" zu beantworten - allerdings, und das ist Swartzberg schon wichtig, betont auf der zweiten Silbe und nicht salbungsvoll gemurmelt wie in der Kirche, sondern kraftvoll und laut.

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Noch lieber als unter dem Dach des alten Bahnhofs hätte der 69-jährige Münchner Publizist und Aktivist, bekannt unter anderem durch innovative Gedenkaktionen wie die "Faces for the Names"-Projektionen oder als leidenschaftlicher Verfechter der Stolpersteine, den Schabbat-Beginn unter freiem Himmel auf dem Giesinger Bahnhofplatz gefeiert. Allerdings will das Wetter den Schabbat-Frieden mit Sturm und waagrechten Regengüssen so gar nicht einhalten, wie schon eine Woche zuvor.


Pragmatisch handhaben liberale Juden hierzulande auch die Frage des genauen Schabbat-Beginns, den sie auf 19 Uhr 15 festgelegt haben, unabhängig vom minutengenauen Zeitpunkt des Sonnenuntergangs, an dem sich strengere Gemeinden orientieren. Wenn es bei alldem eine verbindende Brücke gibt, ist es natürlich die Musik, weshalb Swartzberg das Fest vor allem als Livekonzert geplant hat: Traditionelle jüdische Klänge, instrumental und vokal fein gesponnen, in den jiddischen Texten auch mal lebensweltlich-deutlich, bringt das Münchner Klezmer-Kammer-Ensemble Zikoron ("Erinnerung") auf die Bühne.
Für den musikalischen Crossover (und nebenbei für die Bühnentechnik) ist der Folk- und Bluegrass-Musiker Paul Stowe verantwortlich, ebenso wie Swartzberg im US-Ostküstenstaat Connecticut geboren, von wo er, wie das Publikum hört, auch jüdische Musikeinflüsse in die neue Münchner Heimat mitgebracht hat.