Terroranschlag auf der Wiesn:Wie sich der Umgang mit dem Oktoberfest-Attentat verändert

Demonstration zum Jahrestag des Oktoberfestattentats, 1981

1981 erinnern Demonstranten am Marienplatz an die Opfer des Oktoberfestattentats, bei dem ein Jahr zuvor 13 Menschen, darunter der Täter, starben.

(Foto: Karlheinz Egginger)
  • 35 Jahre nach dem Oktoberfestattentat verändert sich die Aufarbeitung.
  • Bislang waren vor allem Opfer unzufrieden. Sie klagten über zu wenig Information und Anteilnahme.
  • Neben der neuen Untersuchungskommission rücken auch neue Vorhaben der Stadt die Geschehnisse des 26. Septembers 1980 in die Öffentlichkeit.

Von Katja Riedel

In diesem Jahr hat Hans Roauer keinen Brief von der Stadt München bekommen, keine Einladung zum Gedenken an jenen Tag, der sein Leben in ein Davor und ein Danach zerrissen hat. Er sei ja keiner, der mit seinem Leid hausieren gehen wolle, sagt er. Mit den Splittern der Bombe, die immer noch in seinem Bein stecken, mit den 92 Operationen seit damals, mit seinem jahrelangen Behördenkampf um ein wenig Hilfe. Und doch gibt es Manches, was ihn wütend macht. Stinkwütend.

Vor zehn Jahren, zum 25. Gedenktag des Oktoberfestattentats vom 26. September 1980, hatte die Stadt Hans Roauer offiziell zur Gedenkstunde eingeladen. Freunde hatten ihn überredet, gemeinsam zur Theresienwiese nach München zu fahren. Zu der schmalen Gedenkstele am Eingang der Festwiese, die damals noch mehr im Gedränge der Menschenmassen verschwand als heute, wo sie immerhin von einem durchlöcherten Metallrund umgeben ist. Es soll Schutz und Aufmerksamkeit zugleich bieten.

Was Roauer von der Aufarbeitung hält

Doch als Roauer an dem Ort ankam, der ihm bis heute Angst macht, da habe es für ihn und die anderen, oft schwerst behinderten Attentatsopfer nicht einmal einen Sitzplatz gegeben, sagt er. "Nur die Honoratioren saßen hinter der Absperrung, wir standen mitten in der Meute. Und dann die salbungsvollen Worte. Ich habe das nur fünf Minuten ausgehalten", sagt Roauer.

Von der Stadt komme nichts, seit 35 Jahren, kein ernsthaftes Gefühl, keine wirkliche Anteilnahme, so empfindet er es jedenfalls, als einer von 211 Schwerverletzten. In Bologna, wo es ebenfalls ein Attentat mit rechtsextremem Hintergrund gab, kurz vor der Münchner Bombe, da sei das ganz anders , da gebe es sogar ein Museum.

In München hingegen sei da nur "diese Eisenwand". Nichts Informatives. Und selbst das puristische Mahnmal schütze ja niemand. Während des Trachtenumzuges, den Roauer sich im Fernsehen anschaute, da sei das Mahnmal "voll besetzt mit jubelnden Menschen" gewesen. "Aber das gehört sich doch nicht, gerade jetzt, wo alles wieder bearbeitet wird. Wie kann man da winkend dran vorbei gehen, ohne kurz innezuhalten?"

Welche Rolle das Attentat heute spielt

Hans Roauer weiß nicht, dass es durchaus jemanden gibt, der seine Enttäuschung nachvollziehen kann. "Natürlich habe ich für diese Gefühle Verständnis", sagt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Roauer und andere Betroffene sollten sich mit diesen Erlebnissen an ihn, Reiter, persönlich wenden, sagt der OB. Er ist nicht der Einzige, der nun zuhören will: Seit dem 6. Dezember sind die Ermittlungen wegen zwölffachen Mordes wieder aufgenommen, sie richten sich gegen Unbekannt, und seitdem ist das Attentat in der Öffentlichkeit wieder präsenter.

Seither dreht die Soko "26. September" jeden Stein noch einmal um, der mit dem schwersten deutschen Anschlag der Nachkriegsgeschichte zu tun haben könnte. 21 Ermittler des Landeskriminalamtes haben in den vergangenen Monaten im Auftrag des Generalbundesanwaltes schon mehr als 100 Zeugen vernommen. Darunter auch Hans Roauer, der gesehen haben will, wie der 21-jährige Student Gundolf Köhler die Bombe in einem Papierkorb ablegte und wie er zuvor mit möglichen Hintermännern sprach.

Anfang des Jahres hat Roauer all das noch einmal zu Protokoll gegeben. "Das war ein guter Moment, ein richtig gutes Gespräch", sagt er. "Endlich hat mich jemand gehört und ernst genommen; es ging nicht nur um den Tathergang, das war auch die menschliche Seite." Zum ersten Mal überhaupt habe er das Gefühl gehabt, dass ein Vertreter des Staates ihn ernst genommen habe. Ein trauriger Satz, nach 35 Jahren.

Wie das Attentat in einer Erinnerungslücke verschwand

Tatsächlich hinterließ der Anschlag keine große Zäsur in der Stadtgeschichte. Der Tatort wurde eiligst gesäubert, schon am Tag nach dem Anschlag floss das Bier wieder. Nur am Tag der offiziellen Trauerfeier legte die Wiesn eine kurze Pause ein. So verschwand der schwärzeste Tag der Wiesn-Geschichte in einer Erinnerungslücke.

Sie war so tief, dass es selbst dem ehemaligen Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) unterlief, im Zuge der Olympiabewerbung zu sagen, auf der Wiesn habe es nie ein Sicherheitsproblem gegeben. Ein Fauxpas, für den sich Ude entschuldigte, was auch deshalb glaubhaft schien, weil er selbst 2008 bei dem jährlichen Gedenken gefordert hatte, die Ermittlungen wieder aufzunehmen.

Doch nicht nur der Stadtspitze unterliefen Patzer, die einen Mangel an Erinnerungskultur bloßlegten. Der Freistaat blieb lange unsichtbar. Erst 2010 nahm mit Innenminister Joachim Herrmann (CSU) erstmals ein Vertreter der Staatsregierung an dem Festakt teil. Ein Opfer sprach dort bislang nicht. Das wird sich auch in diesem Jahr nicht ändern. Die Stadt bemüht sich jedoch deutlich, die Betroffenen stärker einzubeziehen. Sie lädt am Jahrestag zu einer Podiumsdiskussion ins Rathaus ein; dort werden nicht nur Opferanwalt Werner Dietrich und der Journalist Ulrich Chaussy sprechen, sondern auch zwei Betroffene.

OB Reiter hat selbst noch eine lebendige Erinnerung an den Abend des Anschlags. Er lebte damals ganz nah an der Theresienwiese, noch immer kann er sich an die Sirenen erinnern, an die schrecklichen Bilder im Fernsehen. Doch dass diese nicht mehr vielen Menschen präsent sind, hat auch er bemerkt, nur selten hat ihn, den Oberbürgermeister, bisher jemand auf den Anschlag angesprochen.

Was von Seiten der Stadt konkret geplant ist

Hat die Stadt dem Attentat und ihren Opfern bisher zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet? Reiter will sich nicht anmaßen, darüber zu urteilen. "Mir ist nur wichtig, dass wir 35 Jahre nach diesem fürchterlichen Terroranschlag der Opfer gedenken und all jenen eine Stimme geben, die bis heute Leid empfinden", sagt er.

So sieht es auch Miriam Heigl, sie leitet die städtische Fachstelle für Demokratie. "Es ist die Wirkung der NSU-Ermittlungen, dass nicht nur die Täter-, sondern auch die Opferseite stärker aufgearbeitet wird", glaubt sie. Sie will, dass sich Opfer rechter Gewalt stärker wahrgenommen fühlen - auch die des Oktoberfestattentates. Zwar habe die Stadt damals Einzelnen geholfen. "Es ist schon etwas passiert, es wurde nur fast nicht darüber gesprochen", sagt Heigl.

Das diesjährige Gedenken zum 35. Jahrestag des Attentats organisiert ihre Stelle gemeinsam mit dem Kulturreferat. Sie haben eine Broschüre aufgelegt, in der es um das Attentat, um Hintergründe und Aufarbeitung geht. Die liegt sogar auf der Oidn Wiesn aus, in der Ausstellung zur Geschichte des Fests. Aus Interviews mit Opfern soll zudem eine wissenschaftliche Dokumentation entstehen. Und nicht nur das: Anfang 2016 wird die Stadt eine Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt schaffen. 320 000 Euro lässt München sich das jährlich kosten. Aus den Lehren der Geschichte soll etwas Bleibendes entstehen. Aber ohne die Geschichte wäre es Heigl vielleicht nicht gelungen, genug Stimmen der Politik für das Projekt zu bekommen.

Hans Roauer versöhnt all das nicht, noch nicht. Die Broschüre will er sich ansehen. Zur Podiumsdiskussion, zu der ihn Anwalt Dietrich eingeladen hatte, wird er aber nicht kommen. Wenn die Stadt ihren Kranz am Mahnmal niederlegt, sitzt Roauer im Wohnmobil, er fährt gen Süden.

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