Als das Ding in der Landwehrstraße auftauchte, waren die Anwohner ziemlich irritiert, aber auch neugierig, erzählt Alexander Timtschenko. Schwarz, mehrere Meter lang und mit markanten Stummelflügeln, war dieses Ding einer Mini-Pershing nicht unähnlich. Raketenalarm im Bahnhofsviertel? Kurator Timtschenko und sein Auftraggeber Matthias Ottmann konnten die Irritation schnell auflösen. Die vermeintliche Rakete entpuppte sich als das Kunstobjekt „Brenner R02“ des aus Niederbayern stammenden, in Berlin lebenden Bildhauers Michael Sailstorfer.
Seit Kurzem steht sie im Innenhof eines Bürogebäudes in der Landwehrstraße und macht auf den temporären Kunstraum „Temporary Contemporary“ von Anja und Matthias Ottmann aufmerksam. Zur Eröffnung wurde das metallene Hybrid eines mit Holz befeuerten Ofens in Form einer stilisierten Rakete auch gleich in Aktion versetzt – was für einen weiteren Menschenauflauf sorgte, weil die Leute den Qualm sahen und dachten, es brennt.

Die Räume im zweiten Stock werden nun bis Ende des Jahres in einer kulturellen Zwischennutzung bespielt. Matthias Ottmann hat das Haus mit seiner Projektentwicklungsfirma „Urban Progress“ in der Pandemie gekauft und wird das Gebäude im kommenden Jahr zu einem seiner „Netzwerkhäuser“ umbauen, „mit viel Grün, Dachterrasse, Balkonen und einem kleinen Café im Erdgeschoss“, wie er erzählt.

Eigentlich war als Erstes eine Doppelausstellung von Nevin Aladağ und Documenta-Teilnehmer Daniel Knorr geplant. Doch die klappt erst im Herbst im Rahmen der Kunstinitiative Various Others. Stattdessen gibt es aktuell unten die Sailstorfer-Installation und oben Werke des kanadischen Multimediakünstlers Marcel Dzama aus der familieneigenen Unternehmenssammlung der Ottmanns, der Südhausbau, sowie der Privatsammlung von Anja Ottmann.
Die Werke kreisen allesamt um das Thema Bedrohung. Bei Sailstorfer um eine kriegerische, die durch die Ofenkonstruktion ironisch gebrochen wird (vom Raketenantrieb zum Wärme und Leben spendenden Feuer), bei Dzama um eine eher psychologische. So kamen die Ottmanns auf die Idee, die aktuelle Ausstellung „Territory Defense“ zu nennen, was so viel wie Gebietsverteidigung oder – etwas altertümlich – Landwehr heißt. Aber auf die Idee muss man auch erst mal kommen, den Namen der Straße so zu übersetzen.
Dzamas Bilder, Objekte und Installationen erscheinen oft heiter, wie das Karussell, das an das Triadische Ballett von Oskar Schlemmer erinnert. Nicht selten entpuppen sich Werke aber als (Alp-)Traumlandschaften. Andere führen in eine mythologische, märchenhafte oder allegorische Welt. Da tauchen Werwölfe, Bären und Fledermäuse und anderes bedrohliches Getier auf. Menschen werden getrieben und beherrscht von ihren sexuellen Begierden. Aber auch Waffen spielen eine Rolle in Dzamas Werk, besonders auch in seinen Zeichnungen. Hier trifft er besonders gut ins Schwarze – so wie Sailstorfer mit seiner Rakete.
„Territory Defense“ von Marcel Dzama und Michael Sailstorfer, Temporary Contemporary, Landwehrstraße 61, Do-Sa, 12-19 Uhr, bis 26. Juli