Man hat bei diesem Konzert in der Isarphilharmonie nicht unbedingt den Eindruck, Teodor Currentzis könne nicht auch das SWR-Symphonieorchester in einen ähnlich verschworenen Haufen verwandeln, wie er es viele Jahre lang mit seinem Ensemble MusicAeterna tat. Auftritte von Letzterem dürften ja aus bekannten Gründen - dämliche Posts von Mitgliedern des Orchesters oder des Chors, Finanzierung des Ensembles durch russische Gelder in St. Petersburg - im Westen erst einmal schwierig werden.
Momentan bleiben Currentzis Auftritte mit seinem Utopia-Projektorchester, etwa im Sommer in Salzburg. Und natürlich das Orchester, dessen Chef er seit 2018 und noch bis 2024 ist, eben das SWR-Symphonieorchester. Und allein, wie Currentzis das Verbeugen des Riesenapparats choreografiert, wie die Musikerinnen und Musiker umgekehrt ihn feiern, das zeigt ein einzigartiges Miteinander. Vor der Isarphilharmonie suchen Menschen noch dringend Karten, das Konzert ist ausverkauft, bei Preisen von fast bis zu 150 Euro. Currentzis' Marktwert ist enorm.
Seine musikalische Bedeutung ist dies ohnehin. Auch wenn den ersten Teil die Pianistin Yulianna Avdeeva dominiert. Sie spielt den Solopart von Sergej Prokofjews zweitem Klavierkonzert, sie spielt ihn großartig, kommuniziert mit dem Orchester aufs Schönste, ist extrem aufmerksam und dennoch fast schon bohrend konzentriert auf ihr Tun. Aber Currentzis lässt sich nicht unterkriegen, emanzipiert das Orchester gegenüber dem - gerade in der ersten Solokadenz - überbordenden Klavierpart. Und so ist dieses Musizieren alles: das Erfinden eines gemeinsamen Gesangs, das Gegeneinandersetzen schroffester Elemente. Gerade wie Currentzis und Avdeeva die Übergänge zwischen Klavier und Orchester mit einem zwingenden Sog versehen, das ist ganz große Klasse.
Haltlose Werke, sture Werke, konsequente Werke
Dieses Konzert ist auch wegen seiner Programmierung bemerkenswert. Vor der Pause allein das Prokofjew-Konzert, danach Strawinskys "Sacre du Printemps" und, sozusagen als fest programmierte Zugabe, aber natürlich weit mehr als das, Ravels "Boléro". Die Zusammenstellung geht weit über Standard-Programmierung, gerade bei Orchestern, die auf Tour sind, hinaus. Hier aber: drei Stücke in Korrespondenz, die alle ihren eigenen Weg in eine Moderne aufzeigen. Haltlose Werke, sture Werke, konsequente Werke.
"Sacre" zerlegt Currentzis konsequent in seine zwei Teile: Erst überbordende Freude, längst nicht so motorisch krass überdreht, wie man das sonst schon gehört hat, eher ein grandioses Poem. Danach kommt der Part der harten Gegensätze, bestes Instrumentaltheater. Und was Currentzis und der SWR danach mit dem "Boléro" machen, macht nur noch staunen. Der Dirigent hört zu, die extremste Steigerung entwickelt sich in absoluter Perfektion wie von selbst, Und man weiß nicht, wie lange das Stück dauern müsste, bis Curretzis nicht noch eine winzige Nuance an Neuigkeit in der stetigen Wiederholung einfiele. Großartig.