Telefonhilfe:Nummer gegen Kummer nur für Jugendliche

Jugendliche beraten Jugendliche Telefonhilfe Beratung

Koordinatorin Dorothee Ehrmüller (links) und Chiara Stephan, eine der ehrenamtlichen Helferinnen, im Raum des Kinderschutzbundes.

(Foto: Jan A. Staiger)
  • In München organisiert und finanziert der Kinderschutzbund die "Nummer gegen Kummer" für Kinder und Jugendliche.
  • Dort können sie sich von anderen Jugendlichen und jungen Erwachsenen beraten lassen.
  • 2500 Ehrenamtlichen betreuen das Angebot an 79 Standorten in Deutschland.

Von Kathrin Aldenhoff

Manche Telefonate vergisst Chiara Stephan nicht. Wie jenes mit dem Mädchen, deren Vater einen schweren Unfall hatte. Anschließend trennten sich die Eltern auch noch - und sie musste mit all dem klarkommen. "Ich konnte wahnsinnig gut verstehen, was sie durchmacht. Mir ist etwas ganz ähnliches passiert", sagt Chiara Stephan. Einer Freundin hätte sie vielleicht erzählt, wie das bei ihr damals war. Aber das Mädchen, mit dem sie telefonierte, war keine Freundin. Sie war eine Anruferin bei der Nummer gegen Kummer und Chiara Stephan ihre Beraterin. Und so hörte sie einfach zu.

Chiara Stephan ist 20 Jahre alt, seit etwas mehr als vier Jahren arbeitet sie in München ehrenamtlich bei der Nummer gegen Kummer. Sie ist eine von 2500 Ehrenamtlichen, die an 79 Standorten in Deutschland montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr Kinder und Jugendliche beraten, die die Nummer 116 111 wählen. Im Jahr 2017 nahmen sie etwa 354 000 Anrufe entgegen. In München, wie an vielen anderen Standorten, organisiert und finanziert der Kinderschutzbund dies. Ihr Alter macht aus Chiara Stephan eine besondere Beraterin: Die 20-Jährige arbeitet nur samstags. Dann sitzen Jugendliche und junge Erwachsene an den Telefonen. Im Moment gibt es davon allerdings zu wenige - der Kinderschutzbund München sucht für diese Aufgabe dringend Helfer.

Seit 1994 gibt es das Angebot "Jugendliche beraten Jugendliche". Die Idee war, dass es Jugendlichen leichter fallen könnte, mit Gleichaltrigen über ihre Probleme zu reden. Sie sprechen die gleiche Sprache, sind näher dran an den Sorgen und Bedürfnissen der Altersgruppe. Die meisten Anrufer an den Samstagen sind zwischen 14 und 18 Jahren alt. "Es ist nicht so lange her, dass ich selbst so alt war", sagt Chiara Stephan. Wenn ihr eine Anruferin erzähle, dass jemand einen Screenshot von einem peinlichen Snap gemacht habe, für den sie sich schäme, dann wisse sie, was los sei. Anders als vielleicht ein älterer Berater.

Das Telefon klingelt ständig, 2017 nahmen Chiara Stephan und die anderen jugendlichen Berater in Deutschland an den Samstagen rund 14 400 Anrufe entgegen. Doch nicht alle Anrufer haben wirklich ein Problem. Manche probieren die Nummer aus, machen Witze, manche stöhnen ins Telefon, wieder andere rufen an, um zu ratschen, so wie mit einer guten Freundin. Aus den 14 400 Anrufen entwickelten sich rund 3900 intensive Beratungsgespräche, die auch mal eine Stunde oder länger dauern können.

Ein Montagabend im Februar, Informationsabend beim Kinderschutzbund München für Ehrenamtliche bei der Nummer gegen Kummer. Der Psychologe und Psychotherapeut Jürgen Wolf stellt die Hotline vor und die Aufgaben. Und versucht, den Anwesenden das Unbehagen vor den Scherzanrufen zu nehmen. "Das ist ein anonymes Telefon, viele wollen es ausprobieren." Jürgen Wolf sieht das so: "Jeder Anruf ist ein Beziehungstest." Auch bei Scherzanrufen stecke vielleicht etwas anderes dahinter. Vielleicht gelinge es ja, in Kontakt zu treten, miteinander zu reden, ein Angebot zu machen. "Und wenn der Anrufer dann mal wirklich ein Problem hat, dann ruft er wieder an."

Manche probieren die Nummer aus, manche haben riesige Probleme

Wolf schult alle Ehrenamtlichen, die von München aus bei der Nummer gegen Kummer arbeiten. Die Berater werden mit einer großen Bandbreite von teils sehr ernsten Problemen konfrontiert. Es sei wichtig, gut darauf vorbereitet zu sein, sagt er. Die Ausbildung umfasst 80 Stunden über einen Zeitraum von etwa vier Monaten. Es geht um Nähe und Distanz, um Strategien zur Gesprächsführung und natürlich auch um die schwierigen Themen: Krisen und Suizid, Gewalt und Missbrauch. Jürgen Wolf sagt: "Am Telefon muss man ständig mit allem rechnen."

Elisa Schullan traut sich das zu. Die 19-Jährige will Therapeutin werden, 2018 hat sie ihr Abitur gemacht, nun sitzt sie in dem Gruppenraum beim Kinderschutzbund und lauscht Wolfs Ausführungen. "So ein Angebot ist wichtig, viele haben das Gefühl, keinen Ansprechpartner zu haben", sagt sie. Sie glaubt, die ehrenamtliche Arbeit passe zu ihr. "Viele in meinem Freundeskreis wenden sich an mich, wenn sie Probleme haben."

Nach etwas mehr als einer Stunde ist der Infoabend vorbei. Elisa Schullan schreibt ihre E-Mail-Adresse auf die Liste, die herumgegeben wird. Im März will sie mit der Ausbildung beginnen. Vielleicht eine Ehrenamtliche mehr im Team von Dorothee Ehrmüller, acht sind es zurzeit.

Dorothee Ehrmüller koordiniert das Engagement bei "Jugendliche beraten Jugendliche", besucht Schulen und informiert über die Nummer gegen Kummer. Sie arbeitet selbst ehrenamtlich für den Kinderschutzbund. Und sie ist immer auf der Suche nach neuen Helfern. "Die Auswahl an Angeboten für Freiwillige ist inzwischen recht groß", sagt die 28-Jährige. Deswegen sei es so schwierig, neue Berater zu finden. Der Bedarf ist groß, denn samstags beraten sie immer zu zweit. Das ist ein Unterschied zu den Telefonschichten unter der Woche, die Erwachsene übernehmen.

Wenn Bedarf ist, steht den Jugendlichen ein erwachsener Berater zur Seite, sie können ihn jederzeit anrufen. Chiara Stephan hat das noch nie gemacht. Aber mit ihrem Kollegen spricht sie nach den Telefonaten immer noch einmal darüber. "Das hilft schon, vieles zu verarbeiten." Und das ist schon nötig bei Anrufen, wie dem einer 16-Jährigen. Die Schülerin hatte ein Verhältnis mit ihrem Lehrer. Freiwillig zunächst, doch dann entwickelte es sich immer mehr zum Missbrauch. "Es hat ewig gedauert, bis sie damit rausgerückt ist", sagt Chiara Stephan. Aber am Ende hat sie darüber gesprochen. Weil sie sich Zeit für sie genommen hat. Und einfach zugehört hat.

Am Montag, 25. Februar, findet um 18.30 Uhr ein Informationsabend zum Ehrenamt bei der Nummer gegen Kummer statt (in den Räumen des Kinderschutzbundes München, Kapuzinerstraße 9d). Wer sich anmelden möchte oder vorher schon Fragen hat, kann sich unter (089) 55 53 59 oder unter info@dksb-muc.de beim Kinderschutzbund melden.

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