Null Acht Neun:Aber deine Nieren!

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Schaut kalt aus. (Foto: Hans Wiedl/dpa)

Bauchfreie Tops und unförmige Hosen im Teenager-Kleiderschrank? Höchste Zeit, ein paar alte Sprüche rauszuholen.

Glosse von Nadeschda Scharfenberg

Auf der Liste der nervigen Mama-Sätze nimmt "Aber deine Nieren!" einen Platz ganz weit vorne ein. Hätten die Mütter aus den 90er-Jahren recht behalten mit ihren Warnungen vor bauch- und also auch lendenwirbelsäulenfreien Oberteilen, säße heute eine Generation der Schrumpfnieren am Ruder, die obendrein Plattfüße hätte. Denn noch weiter vorne als der Satz mit den Nieren rangiert dieser Spruch: "Was? Du gibst für Stoffschuhe (Chucks, d. Red.) 100 Mark aus? Und die haben nicht mal ein Fußbett!"

Mit den Schrumpfnieren und den Plattfüßen lagen die Mütter zwar daneben, aber es ist sowieso fraglich, ob es ihnen wirklich um die Gesundheit ging - oder ob sich in ihren Nörgeleien nicht einfach nur die (rückblickend leider allzu wahre) Botschaft an den Nachwuchs versteckte: Um Himmels willen, wie siehst du denn aus? Ein Streifzug durch alte Fotoalben lehrt einen das Fürchten. Die pink-glänzende Radlerhose zum pink-gepunkteten Crop Top. Die krebsrote 501. Die Hochwasser-Latzjeans. Der Gürtel mit der blumenförmigen Schnalle. Uff!

Eine fotografische Überprüfung des eigenen Erscheinungsbildes war damals unmöglich, denn bis der Film vollgeknipst und entwickelt war und man die ganze wurstpellenhaftige Scheußlichkeit der Radlerhose erfasste, war man aus dieser längst rausgewachsen. Und ein Spiegel, das ist ja bekannt, ist keine ehrliche Kontrollinstanz, weil er eben die Realität nur spiegelverkehrt wiedergibt.

Die Generation Instagram müsste es da um einiges leichter haben. Doch ein Blick in die Münchner Klassen- und Jugendzimmer (und in die Wäschekörbe beziehungsweise in Zimmerecken, unter Sofas) nährt Zweifel. Der neon-psychedelische Polyester-Hoodie. Die figurtötende Schlabberjeans mit Smiley-Print. Die Opa-style Stoffhose, die die Knöchel freilässt. Ein Sammelsurium der Unförmigkeiten, wie geschaffen, um FFP2-Masken in den ausgebeulten Taschen zu vergessen, auf dass sie in der Waschmaschine alles vollfusseln.

Geschmack ist ein weites Feld, aber so langsam böte sich vielleicht doch eine Gesundheitsbotschaft an: "Aber deine Beine! Nicht dass du dich in der Fahrradkette verhedderst. Das kann böse enden!" Alternative: Augen zudrücken, sich selbst eine Schlabberhose zulegen und sich an der Erkenntnis erfreuen, die einen irgendwann ganz von selber ereilt hat: Es geht nichts über eine warme Nierengegend.

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