Technologie:Als die Post noch schneller war als das Internet

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Christine Wittig führt eine kleine Internetfirma mit sieben Mitarbeitern - und sitzt auch im Aufsichtsrat der Münchner Frauencomputerschule. (Foto: Florian Peljak)

Christine Wittig arbeitet seit Anfang der Neunzigerjahre in einer kleinen Computerfirma. Damals verabredete man sich noch zum gemeinsamen Surfen

Von Pia Ratzesberger, München

Sie erinnert sich noch gut an die Zeit, als die Mails nur zweimal die Woche kamen. Die Post war damals schneller als das Internet, noch kaum einer hatte eine E-Mail-Adresse. Christine Wittig, 43, aber schon. Sie ist einer der Menschen in der Stadt, die von Anfang an dabei waren, damals Anfang der Neunzigerjahre, als es noch kein richtiges Internet gab, sondern nur Mailboxen. Als ein Modem noch 1000 Mark kostete, es ganz normal war, sich zum gemeinsamen Surfen zu verabreden und dabei zuzusehen, wie sich langsam die Webseite zusammensetzte. Wie die Würfel bei Tetris. Mit wem also könnte man besser über diese Zeit reden als mit Christine Wittig - die heute in München noch immer eine kleine Internetfirma führt.

Sie wartet in einem Café in der Corneliusstraße, das passenderweise "404 page not found" heißt und zieht ein schwarzes Modem aus ihrer Tasche. Darauf ein Aufkleber, dessen Bild erst einmal sehr entfernt an eine Piratenflagge erinnert, es handelt sich aber um ein "Pesthörnchen". Als ein Modem noch 1000 Mark kostete, inklusive Zulassung der Deutschen Post, wollte nicht jeder so viel Geld ausgeben; ohne Zulassung der Post waren die Kästen schon für etwa 600 Mark zu haben. Anstatt der offiziellen Aufkleber mit Posthorn klebten Wittig und ihre Kollegen damals im Medienladen in Neuhausen also die Aufkleber des Chaos Computer Clubs auf ihre Geräte, kleine schwarze Pesthörnchen. Wie befremdlich die Computerwelt für viele damals noch war, versteht man, wenn Wittig von diesem einen Abend erzählt, an dem die Polizei im Laden stand - viele Kabel und Bildschirme kamen den Beamten verdächtig vor. Die illegalen Modems allerdings beschlagnahmten sie nicht, vielleicht auch, sagt Wittig, weil sie den Unterschied erst gar nicht erkannten.

Damals lief die digitale Kommunikation in München alleine über Mailboxen, also über Knotenpunkte, die sich miteinander austauschten. Um die 200 solcher Systeme entstanden damals in Deutschland und eines der ersten in der Stadt war Link-M. So heißt die Firma heute noch. Dort ist Wittig seit mehr als 18 Jahren Geschäftsführerin, sie hat eine alte Preisliste mitgebracht und allein diese Zahlen zeigen, wie viel sich verändert hat: 1997 zum Beispiel kostete alleine ein Zugang zu E-Mails noch 14 Mark im Monat. Und ein Smartphone hat heute mehr Arbeitsspeicher als die Server von damals. Während die Aufgabe von Wittig zu dieser Zeit noch war, alle Menschen ins Internet zu kriegen, geht es heute immer öfter ums Gegenteil. Wittig und ihre Mitarbeiter kümmern sich zum Beispiel darum, dass die Computer ihrer Kunden immer die aktuelle Software haben, um Back-ups und solche Dinge, aber im Zweifelsfall eben auch, wenn nach 20 Uhr keiner mehr seine Mails lesen soll. Alle wollten online sein. Jetzt wollen immer mehr offline sein. Eines aber hat sich kaum verändert, in all den Jahren: Wenn Wittig in den Neunzigerjahren an einer Computerkonferenz teilnahm, zählte sie gerne einmal 800 Männer und 20 Frauen. Mittlerweile sei die Quote zwar besser, aber selbstverständlich zähle sie noch immer weniger Frauen. Selbstverständlich? Wittig sagt: leider selbstverständlich.

© SZ vom 27.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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