Techno in München:Totgesagte raven länger

Von wegen Clubsterben: Die Münchner Techno-Szene ist vital wie eh und je "Techno ist tot - dieses Gerücht höre ich seit zehn Jahren", sagt David Süß, trinkt einen Schluck Wasser und blickt auf die schöne Trauerweide, die vor seinem Club auf dem Optimolgelände steht.

David Weigend

Der Club heißt Harry Klein, benannt nach Derricks Helfer und Wagenholer, ein roher Backsteinbau mit besonders dicken Wänden, eine Trutzburg elektronischer Musik.

Dass am Gerücht vom totgesagten Techno nichts dran ist, meint nicht nur Süß. Wer ein wenig in der Szene schnuppert, kommt zu einem ganz gegenteiligen Ergebnis. Techno in München lebt, sein Herzschlag pocht mit 180 Schlägen pro Minute durch die Clubs dieser Stadt.

"Techno ist kein Underground mehr, sondern hat sich zu einer globalen Discomusik entwickelt", sagt Süß, 38, gelernter Krankenpfleger aus Fürstenfeldbruck. Früher war er am Ultraschall beteiligt, jener Disco, die seit dem Ende des Kunstparks Osts nicht mehr existiert. Jetzt kommen die Ultraschallgänger ins Harry Klein, oder sie besuchen einen der vielen neuen Clubs in der Innenstadt. "Vor fünf Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass die Stadt solch zentral gelegene Objekte an Clubbetreiber vermietet", sagt Süß.

Aber durch die Schließung des Kunstparks sei ein Vakuum entstanden, und das hätten die Kulturexperten im Rathaus erkannt. Die kleinteilige Münchner Clubszene befindet sich momentan in einer Orientierungsphase. Seit einem Jahr kann man ein starkes Wachstum beobachten. In den nächsten zwölf Monaten werden wohl einige dieser Clubs wieder schließen müssen, "bei bis zu zehn verschiedenen Veranstaltungen in einer Samstagnacht", so Süß.

Interessanterweise gibt es jedoch auch Partyveranstalter, die den drohenden Verdrängungswettbewerb auf die leichte Schulter nehmen - weil sie in keinem offiziellen Programmheft erscheinen. Die Rede ist von der Dangercrew, einem etwa 15-köpfigen Kollektiv, das unangemeldete Drum'n'Bass-Partys in München organisiert.

Davon erfahren die Gäste über Mundpropaganda oder via Internet. Die letzte Party der Dangercrew fand auf einem Moosacher Fabrikgelände statt, 400 Menschen feierten ein friedlich-rauschendes Fest mit elektronischer Tanzmusik.

Wenn man die Macher der Dangercrew trifft, ist man im ersten Moment ein wenig überrascht: Hier sitzen einem keine wilden Chaoten gegenüber, sondern seriöse Männer und Frauen um die 30, die als Tierärzte, Bänker oder Chemiker arbeiten und nebenher ihrer Leidenschaft nachgehen, dem Groove des Drum'n'Bass.

Die Plattenspieler und Boxen der Dangercrew standen schon unter der Brudermühlbrücke an der Isar und am alten, stillgelegten U-Bahnhof vom Olympiastadion, "und nach jeder Veranstaltung haben wir uns beim Mülleinsammeln die Hände aufgeschnitten", sagt DJ Rob. Er und seine Kollegen stehen einer Kooperation mit dem Kulturreferat inzwischen nicht mehr abgeneigt gegenüber.

"Wenn die Politiker im Rathaus das technische Niveau unsere Partys erkennen und sehen, wie begeistert die Leute in München auf Drum'n'Bass abfeiern, würden sie uns vielleicht auch unkonventionelle Locations zur Verfügung stellen", so ein Mitglied der Dangercrew.

Gespräch mit dem Fisch

Vielleicht wird bei der Legalisierung dieser Partys neben Lärmschutzauflagen auch die Drogenproblematik eine Rolle spielen, wobei die Drum'n'Bass-Szene in dieser Hinsicht relativ unbefleckt ist. Anders sieht es da bei einer weiteren Spielart elektronischer Tanzmusik aus: Goa und Psychedelic Trance. Wer dieses Technoderivat hören will, geht am besten in den Natraj Tempel auf dem Gelände der Kultfabrik: Geisterbahnambiente, fluoreszierende Spinnweben, eine indische, vierarmige Göttin rotiert im Halbdunkel. In den Nischen an der Tanzfläche haben sich Frauen im Schneidersitz niedergelassen und lauschen mit halb geöffneten Augen den monoton-aggressiven Beats der Goamusik.

Man sollte seine Jacke nicht in diesen Nischen ablegen; es könnte sein, dass sich jemand darauf erbricht. Ecstasy ist kein Fremdwort in der Goa-Szene, die Pillen sind allgegenwärtig. Was ein ehemaliger Türsteher des Natraj Tempel erzählt, klingt ziemlich gruselig. Er berichtet von einem 15-jährigen Mädchen, das stundenlang auf einen Fisch einredete, der als Dekoration an der Wand hing; von Goa-Freaks, die im tiefsten Winter halbnackt und barfuß den Natraj Tempel verließen, sich im Schnee suhlten und dann nach dem Krankenwagen riefen.

Sonia Nunes weiß, wie es ist, "so drauf zu sein". Die Ex-Userin hat eine Drogenkarriere aus dem Bilderbuch hinter sich: Ecstacy, Speed, Kokain. "Anfang der 90er habe ich ständig in den Münchner Technoclubs gefeiert, das Studium ging zwei Jahre völlig an mir vorbei." Heute ist sie clean und arbeitet bei Mindzone (zu 90 Prozent vom Bayerischen Gesundheitsministerium finanziert), einer Institution, die in den Technoclubs Bayerns über die Risiken von Partydrogen informiert. "Wir fahren jedoch nicht die Abstinenzschiene, was für Bayern recht progressiv ist", findet Nunes.

Sie feiert immer noch gern, am liebsten im Harry Klein, das auch andere Szenegänger wegen seiner "klaren musikalischen Linie" schätzen. Zum Beispiel DJ Amré, der in dem lautmalerischen Plattenladen BamBam Records arbeitet. Amré trägt am linken Handgelenk eine Uhr im Format eines Mini-Fernsehers und hat wenig Positives über die Münchner Technoszene zu sagen: "Ich finde sie äußerst stumpfsinnig. Das Münchner Publikum ist sehr namenshörig und realisiert nicht, dass die vermeintlich Großen oft nur ein Set mit gleichförmigem Gebretter fahren, ohne Variation und Spannung."

Vielleicht ist es genau das, was die Raver wollen. Die Spannung des Alltags vergessen, sich selbst vergessen. Nur für eine Nacht. Am 11. April legen bei der All Area Party in der Kultfabrik eine Reihe namhafter Techno-DJs auf: Dr. Motte, Shee-La, Tom Wax, Dimitri und andere.

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