Taubheit:Hört, hört

Taubheit: Chefarzt Wolfgang Wagner hält ein Cochlea-Implantat - eine Hörprothese - zwischen den Fingern.

Chefarzt Wolfgang Wagner hält ein Cochlea-Implantat - eine Hörprothese - zwischen den Fingern.

(Foto: Klinikum Schwabing)

Cochlea-Implantate wandeln Schall in elektrische Impulse um und stimulieren den Hörnerv

Wie sich die Welt nun für sie anhört? "Anders", sagt Lisa Neuhaus. Stimmen, Laute und Geräusche würden roboterhaft, verzerrt, nicht mehr so natürlich klingen. Aber immerhin: Sie kann sie hören. Im vergangenen August bekam die 30-Jährige, die ihren echten Namen nicht verraten möchte, ein Cochlea-Implantat in ihr rechtes Ohr. Zuvor war sie auf dieser Seite so gut wie taub. Wenn sie jemand von rechts ansprach, las Neuhaus meistens von den Lippen ab, weil sie sonst nichts verstand.

"Zu einem Leben in Stille ist niemand mehr gezwungen", sagt Wolfgang Wagner, Chefarzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde an der München Klinik Schwabing. Bereits seit etwa 30 Jahren verwenden Ärzte Cochlea-, also Innenohrimplantate. Die Prothese wandelt Schall in elektrische Impulse um, diese wiederum stimulieren den Hörnerv und so kann der Patient wieder hören. Das funktioniert nur, wenn der Sprachprozessor läuft, der den Schall aufnimmt und den die Patienten meist so ähnlich wie ein Hörgerät tragen. Neu sei, sagt Wagner, wie perfekt die Prothese inzwischen arbeite: "80 Prozent der hochgradig schwerhörigen bis ertaubten Kinder können dank dieser Technik eine Regelschule besuchen." Trotzdem entscheide sich von jährlich 30 000 potenziell geeigneten Patienten in Deutschland nur jeder zehnte für ein solches Implantat - aus Angst oder aus Unkenntnis, meint der Arzt.

Neuhaus begann erst mit Anfang 20 ein Hörgerät zu tragen - obwohl sie schon in der Schule beim Diktat fast nicht verstehen konnte, was der Lehrer sagte. "Im Studium fragten mich Freunde, warum ich es mir eigentlich so schwer mache." Acht Jahre lang sei sie mit dem Hörgerät gut zurecht gekommen, doch dann verschlechterte sich ihr Gehör weiter. Perfekt sei es auch mit dem Implantat nicht. "Der Arzt schaltete es an, klatschte und zählte, doch zuerst hörte sich alles gleich an", sagt Neuhaus. Um sich an das Implantat zu gewöhnen, muss sie einmal pro Woche zur Therapie und zu Hause Übungen machen. Worte wie "Tier" und "Tür" seien für sie schwer auseinander zu halten, ein Gespräch in einer vollen Bar sei immer noch eine Herausforderung. Trotzdem bereue sie das Implantat nicht. "Vor allem", sagt sie, "gibt es mir eine große Sicherheit, eines Tages nicht komplett taub zu werden."

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