Taubenplage in München:Betreutes Wohnen statt Abschuss

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Die Stadt München erprobt eine neue Politik im Umgang mit dem Taubenproblem. Statt die Tiere zu töten und zu vertreiben, werden sie in eigens gebauten Schlägen verhätschelt - und an der Fortpflanzung gehindert.

Von Birgit Lotze

Sie gurren und flattern im Hauptbahnhof, betteln vor Kaufhäusern, tippeln geräuschvoll und unablässig über Regenrinnen und hinterlassen ihre Exkremente auf Fenstersimsen und Balkonen: Die Tauben, eigentlich Symbole des Friedens, der Unschuld und Treue, gehen vielen Münchnern gewaltig auf die Nerven. Ob in der Altstadt, in Schwabing, in Sendling oder Neuhausen-Nymphenburg, seit mehr als zehn Jahren gibt es kaum eine Bürgerversammlung, in der nicht die Stadt aufgefordert wird, mehr gegen die Tauben zu unternehmen.

Vor einigen Wochen machten die abschreckenden Abschüsse von Tauben in der Pasinger Bahnbetriebshalle Furore. Jetzt wechselt die Stadt die Richtung: Die Tauben sollen sozusagen in Betreutes Wohnen überführt werden. Umweltreferent Joachim Lorenz (Grüne) schwebt ein flächendeckendes Netz von Taubenhäusern und -schlägen vor, die ehrenamtliche Vogelliebhaber betreuen. Dort würden die Vögel gefüttert und könnten artgerechter leben. Die hygienische Situation werde verbessert, die Ansteckungsgefahr durch Krankheiten sinke. Die Eier könne man in den Häusern gegen Attrappen austauschen und so die Vermehrung einschränken.

Taubenhäuser sind nicht billig

Solche Taubenhäuser sind nicht billig, allein der Bau kostet zwischen 6000 und 15 000 Euro. Lorenz geht davon aus, dass sich im Gegenzug Schäden und Reinigungskosten durch die wild im Stadtgebiet lebenden Tauben reduzieren lassen. Haben sich die Vögel erst einmal auf einen Taubenschlag eingelassen, halten sie sich auch vorwiegend dort auf. Umliegende Flächen und Häuser bekämen weniger Taubendreck ab, sagt Lorenz. Allein an der Großmarkthalle hat die Stadt 2012 für maßgeblich durch Taubenkot verursachte Schäden und für Vergrämungsmaßnahmen mehr als 45 000 Euro ausgegeben.

Das Konzept ist nicht neu, bereits 2008 beschloss der Stadtrat, dieses sogenannte "Augsburger Modell" einzuführen. Während Augsburg damit seit Jahren gute Erfahrungen macht, kam München nicht vorwärts. Die Verwaltung klagte, sie finde keine Plätze für die Taubenhäuser. Mal waren es baurechtliche Einwände, dann wieder hygienische Bedenken. Die Einrichtung eines Taubenhauses auf dem Kustermann-Dach am Viktualienmarkt scheiterte am Widerstand der Nachbarn. Das Kommunalreferat stellte sich quer als das Dachgeschoss im Neuen Rathaus, wo die komplette Haustechnik steht, in einen Taubenschlag verwandelt werden sollte. Auch am beliebtem Taubentreff Donnersbergerbrücke kam man nicht weiter. Der Plan scheiterte an der Verkehrslage. Die Brücke soll der "Vorzugshöhe" der Flugbahn der Vögel entsprechen, ein Taubenschlag erhöhe das Unfallrisiko für Autofahrer.

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So wurden bislang in München nur Taubenhäuser in Privatinitiative gebaut, vor allem vom Tierschutzverein. Doch dessen Arbeit stößt an Grenzen, personell und vor allem finanziell. Der Tierschutzverein betreibt drei Taubentreffs an Brennpunkten in der Innenstadt, darunter auch seit zwei Jahren ein Vorzeigeprojekt auf dem Karstadt-Dach an der Münchner Freiheit, das eine Taubenfreundin aus der Nachbarschaft betreut. 200 Tauben wohnen dort. Weitere 200 möchten auch gerne unterkommen, sodass eigentlich ein weiterer Standort gefunden werden muss. Mittlerweile versuchen auch die Brauereien Spaten und Augustiner und die Allianz-Arena mit eigenen Taubenhäusern die Tiere zu kontrollieren, ebenso richtete das Studentenwerk eines in der Studentenstadt Freimann ein. Die Hypobank betreibt ein Haus auf ihrem Dach am Arabellapark.

Vorbild Augsburg

Jetzt steigt auch die Stadt ein, nach wie vor geht jedoch nichts im Flug. München will von nun an jedes Jahr zwei neue Projekte verwirklichen, sodass 2017 elf städtische Taubenhäuser betrieben werden. Der Tierschutzverein wird als maßgeblicher Unterstützer zumindest teilweise für seinen Einsatz entschädigt. Ziel sind langfristig 15 Taubenhäuser. Verglichen mit Augsburg ist das nicht viel. Dort gibt es bereits 14 Taubenhäuser, zwei sollen noch gebaut werden. Allerdings liegt die Population bei lediglich 2500 Tauben. In München wird sie auf mehr als 30 000 geschätzt.

Mit einem schnellen und erheblichen Rückgang der Population ist auch mit dem Taubenschlagkonzept nicht zu rechnen. Es dauere oft mehr als ein Jahr, bis ein neues Haus akzeptiert sei, manchmal müsse man auch die Standorte wechseln, sagt Judith Brettmeister vom Tierschutzverein München. Auch funktioniert das Prinzip Schlaraffenland nicht immer. So wird ein Taubenhaus auf dem Dach des Hauptbahnhofs vermutlich auch deshalb nicht gut angenommen, weil die Tiere die Nischen innerhalb des Bahnhofs vorziehen. Darüber hinaus wirkt der Bahnhof wie ein Futterparadies: Snack-Reste fallen zu Boden, die Mülleimer enthalten Leckereien und es gibt Taubenfütterer, die die Tiere regelmäßig verwöhnen.

Rudolf Reichert von der Bundesarbeitsgruppe Stadttauben, der das Projekt in Augsburg betreut, spricht auch nicht von einer gravierenden Verringerung der Taubenzahl infolge des Projekts, sondern von einer "geringfügigen Reduzierung", die jedes Jahr fortschreite. Er sieht trotzdem große Vorteile. Die unkontrollierte Vermehrung sei gebannt, sagt er. Und die lokalen Probleme seien deutlich zurückgegangen. Während er früher auf 30 bis 40 Beschwerden reagieren musste, seien es heute sechs bis acht pro Jahr. "Und die betreffen meist nicht die Innenstadt, wo die Taubenhäuser stehen, sondern die Randbezirke."

© SZ vom 11.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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