Süddeutsche Zeitung

Taubenplage in München:Betreutes Wohnen für Tauben

Mit einem neuen Modell will München gegen die Taubenplage in der Stadt vorgehen. Taubenschützerin Monika Schüllenbach kümmert sich um 200 Vögel, füttert sie mit "Rassetaubenfutter" - und klaut heimlich ihre Eier.

Von Birgit Lotze

So muss er wohl aussehen, der Taubenhimmel. Er liegt direkt über dem Karstadt an der Münchner Freiheit. Etwa 200 Vögel ziehen ihre Kreise, wechseln gemeinsam wie abgesprochen abrupt die Richtung, lassen sich vom Wind hochtreiben und wieder einige Meter fallen. Immer rund um den Karstadt-Turm.

Hier käme wohl niemand auf den Gedanken, Tauben als Ratten der Lüfte zu bezeichnen. Schon gar nicht Monika Schüllenbach. Sie liebt Tauben und betreut diese Taubenbande. Eben hat sie sich noch an Schmuck, Taschen und Elektrogeräten vorbei zu den Rolltreppen geschlängelt, im sechsten Karstadtstockwerk, hat weit über dem für Kunden zugänglichen Trakt eine Tür geöffnet und ist eine lange Eisenleiter nach oben gestiegen.

Das Dach ist voller Technik: Überall sind Lüftungen, Bauten für die Klimaanlage des Kaufhauses. Dazwischen steht unauffällig ein Taubenhaus, 15 Quadratmeter Fläche, etwa zwei Meter hoch. Dahinter liegt eine kleine Freifläche mit ein paar Funkmasten. "Wir haben den Komfort, dass wir hier oben auch eine Wiese haben", sagt Schüllenbach.

Füttern, säubern, Eier klauen

Das kleine Stück Wiese nutzt sie, um die Tauben aus ihrem Verschlag zu locken, damit sie dort sauber machen kann. Die meisten verlassen sofort ihre Wohnung, als Monika Schüllenbach aufsperrt. Sie kennen das Ritual. Die Taubenfreundin wird ihnen auf der Wiese Futter ausstreuen, zwei Kilo "Rassetaubenfutter", gute Qualität. Und Wasser dazustellen - zum Trinken und zum Baden. "Tauben lernen schnell, sie sind sehr gelehrig. Ich kann mit ihnen wunderbar zusammenarbeiten."

Monika Schüllenbach zieht sich um, Gummistiefel, Mundschutz und Handschuhe sind wichtig. Der Taubenschlag sieht im Innern aus wie ein begehbarer Kleiderschrank - mit 150 bis 200 Fächern. Futterkörbe und Trinkschalen stehen aufgereiht auf dem Boden. Eine Taube je Sperrholzfach, Pärchen wohnen in der Regel zu zweit.

Nicht alle Tauben verlassen den Schlag freiwillig. "Hallo, Adonis, du hältst ja heute lange durch", spricht Schüllenbach einen Vogel an. Adonis war einer der ersten Bewohner des Taubenhauses. Er ist seit Sommer 2011 dabei. Sie erkennt ihn an den Pluderhosen.

Adonis fliegt hinaus, doch fünf weitere Tauben bleiben eisern in den Sperrholzfächern sitzen. Sie wollen ihre Eier nicht verlassen - als wüssten sie, dass Monika Schüllenbach sie gegen Attrappen austauschen wird. Einige lässt die Taubenfreundin ihnen: Bliebe der Nachwuchs total aus, würden sie den Schlag verlassen.

Sieben Eier sind es heute. Das ist kein schlechter Schnitt für einen Tag, manchmal hinterlassen die Tiere aber auch noch mehr Eier. Der Taubenschlag sei viel zu klein, sagt Schüllenbach, eigentlich müsste noch ein zweiter auf eines der Nachbardächer. "Um die Plätze im Haus wird hart gekämpft. Hier sind etwa 500 Tauben, aber nur 200 bis 250 passen hinein." Zum Fressen kämen auch andere Tauben hier hoch, doch wer in den Fächern keinen Platz finde, lege seine Eier einfach irgendwo in der Stadt ab.

Taubenschützer wie Monika Schüllenbach haben inzwischen auch das Referat für Gesundheit und Umwelt überzeugt, dass der Ansatz des "Betreuten Wohnens" für die Vögel Sinn machen könnte. Zu viele Beschwerden über Tauben wurden in den vergangenen Jahren in den Innenstadtbezirken laut, Anträge aus Bürgerversammlungen häuften sich. Die Tendenz war immer die gleiche: Tut endlich was gegen die Taubenplage.

Das städtische Drei-SäulenKonzept - Füttern verbieten, Tauben von beliebten Treffpunkten verjagen und danach den Dreck wegmachen - brachte vielen Bürger zu wenig Wirkung. Die Stadt hat sich jetzt verpflichtet, jedes Jahr zwei neue Taubenhaus-Projekte zu verwirklichen. Im Jahr 2017 will sie elf Taubenhäuser in der Innenstadt mit Hilfe des Tierschutzvereins selbst betreiben.

Fragt man Thomas Bollmeyer, den Geschäftsführer des Karstadts an der Leopoldstraße, kann die Stadt eigentlich gar nichts Besseres tun. "Hochzufrieden" sei er mit dem Taubenhaus auf dem Dach, sagt Bollmeyer. "Das bringt eine ganze Menge." Die Tiere würden "praktisch weggesogen".

Früher habe sein Haus Riesenprobleme wegen der Tauben gehabt, viel Dreck, hohen Reinigungsaufwand und enorm viele Kundenbeschwerden, auch weil dem ein oder anderen "ein Klecks beschert" wurde - oft drei in einer Woche. "Heute gibt es keine einzige Beschwerde mehr wegen Tauben." Für Bollmeyer ist klar: "Das ist der richtige Weg."

Karl Bliemetsrieder, Bahnhofsmanager am Münchner Hauptbahnhof, ist sich da nicht so sicher. Er sperrt das Taubenhaus auf, blickt dabei missmutig auf das Dach gegenüber, auf dem sich einige Vögel aufgereiht haben. Seit eineinhalb Jahren versucht die Bahn, das Taubenhaus zum Hotspot zu machen - sichtlich vergeblich: Vor dem Taubenschlag sitzen ein paar Vögel, innen ist tote Hose. Kein Ei, kaum Tauben. "Das Prinzip Schlaraffenland scheint am Hauptbahnhof nicht zu klappen", sagt sein Kollege. So ein Bahnhof biete zu viele Attraktionen - prall gefüllte Abfallkörbe und sicher gelegene Nistplätze.

Keine Genehmigungen mehr für Abschussaktionen

Bliemetsrieder ist sichtlich zerknirscht. Die Stadt München erteilt seit einigen Monaten keine Genehmigungen mehr, durch Abschussaktionen die Vögel zu vertreiben - für die Bahn ein Problem. Alle Vögel in eine Voliere zu sperren, sei wohl kaum möglich, sagt der Bahnhofsmanager. "Wir haben alles versucht, dass man sie nicht abschießen muss", findet er.

Die Erfahrungen mit einem Falkner in Frankfurt wolle man in München nicht unbedingt wiederholen. Dort vergrämte der Raubvogel zwar die Tauben, stürzte sich aber auch auf einen kleinen Hund. Und Bliemetsrieder erinnert sich auch nur ungern an das Plastikhuhn in einer Nische im Hauptbahnhof, eine Attrappe, die Tauben fernhalten sollte. Irgendwann stand die Feuerwehr da und wollte das Plastikhuhn fangen.

Monika Schüllenbach hat sich die Gummistiefel inzwischen wieder ausgezogen. Immer wieder haben die Vögel in den letzten Minuten der Reinigungsaktion in die Einflugluke geguckt, ob sie endlich fertig ist. Mehr als ein halbes Jahr habe es gedauert, bis das Haus akzeptiert wurde, sagt Schüllenbach. Nach neun Monaten war der Schlag besetzt.

Es soll immer klappen, hat sie von einem Taubenfreund in Augsburg gehört, der dort sehr erfolgreich das "Augsburger Modell" eingeführt hat. "Allerdings dauert es unterschiedlich lange."

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Quelle:
SZ vom 11.06.2014/mmo
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