Tattoos von 1860-Fans:Einmal Löwe, immer Löwe

Wilde Mähne, stolzer Blick, weiß-blaue Rauten: Zwei Männer sammeln Tattoos von Löwen-Fans, die sich die Liebe zu ihrem Verein unter die Haut stechen lassen - über den gesamten Rücken oder ins Dekolleté.

Von Stefan Galler

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Quelle: oh/Tattoo von Tattoorium, Freilassing

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Der Löwe erstreckt sich über den Rücken des Ohrringträgers. Es sieht aus, als throne die Raubkatze gemütlich auf Giesings Höhen, über den Tribünen des Städtischen Stadions an der Grünwalder Straße. Auf dem rechten Schulterblatt sieht man die legendäre Anzeigetafel des alten Sechziger Stadions mit den Nummerntafeln und dem Spielstand 1:0 für den TSV 1860. Uhrzeit: 15.39 Uhr, wohl ein Bundesligaspiel aus glorreicheren Zeiten der Blauen. Da ist an so manchem Samstagnachmittag ein frühes Tor gefallen. Und den Rahmen der riesigen Tätowierung bildet jenes Motto, das die Anhänger dieses Vereins charakterisiert: "Einmal Löwe, immer Löwe."

Das Motiv ziert den Titel und gehört zu den spektakulärsten Abbildungen im "1860 München Tattoobuch", das am 24.11.2014 um 19 Uhr bei einer Veranstaltung im Giesinger Bräu, Martin-Luther-Straße 2, offiziell vorgestellt wird, aber schon seit etwa zwei Wochen im Online-Handel erhältlich ist, natürlich zum Preis von 18,60 Euro.

Andreas Schmied / Maik Lange. "1860-München-Tattoobuch. Eine Liebe, die unter die Haut geht". ISBN 978-3-7307-0128-7. 18,60 Euro. Verlag Die Werkstatt, Göttingen.

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Quelle: Alessandra Schellnegger

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Zwischenzeitlich lag es beim größten Internet-Versandhaus in der Bücher-Rubrik "Fußball - Clubs & Vereine" auf Rang eins - vor der Pep Guardiola-Biographie. "Da waren wir endlich mal wieder vor den anderen", sagt Maik Lange (links), einer der beiden Autoren des 160 Seiten starken Werkes. Mit den "anderen" meint er selbstverständlich den Stadtrivalen FC Bayern, dessen Namen weder Lange, 31, noch der zweite Autor, Andreas "Ondee" Schmied, 35, gerne ausspricht.

Denn die beiden sind wenig überraschend eingefleischte Fans des TSV 1860 München, sie leben das Gefühl des Traditionsvereins seit vielen Jahren: Lange wurde als Zwölfjähriger mit dem Löwen-Virus infiziert, Schmied bereits als Achtjähriger. Damals ist er mit seinem Vater ins Stadion gegangen: "Ich sollte, wenn wir uns verlieren, einfach zu einem Mann mit einer blauen Fahne gehen: 'Der passt dann auf dich auf', hat mein Vater immer gesagt", erzählt Schmied und will darauf hinaus, dass die Anhänger der Blauen eine Einheit sind, die zusammenhält. Unpolitisch, aber einig in der Haltung für die Tradition und gegen den Kommerz.

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Quelle: oh/Tattoo von Tempel, München

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Und so haben die beiden wie viele ihrer Leidensgenossen schon längst der ersten Mannschaft der Löwen in der 2. Liga die Gefolgschaft verweigert. Deren Partien besuchen sie nur sporadisch, fahren sogar eher zu Auswärtsspielen als dass sie sich auf den Weg in die verhasste Arena in Fröttmaning machen.

Sie gehen lieber zu den Spielen der Regionalliga-Amateure. "Die kämpfen wenigstens bis zur letzten Minute und spielen in einem vernünftigen Stadion", sagt Lange. Und dann setzen sie an, das hohe Lied auf die Löwen zu singen, welch großes Potenzial der Klub habe als "Gründungsmitglied der Bundesliga" und mit all den Anhängern in Stadt und Umland. "Seien wir doch einmal ehrlich", sagt Schmied: "Der Verein wird nur noch durch die Fans am Leben gehalten."

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Quelle: oh/Tätowierer unbekannt

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Dass die Löwen sehr wohl noch immer vital sind, haben Lange und Schmied bei der Realisierung ihres Buchprojektes erfahren. Die Idee ist schon gut zwei Jahre alt. Beim Grillen an der Isar fielen den beiden zwei Männer auf, die mit auffälligen 1860-Motiven tätowiert waren. "Es hat uns irritiert, dass wir die nicht kannten, obwohl wir ja tief in der Fanszene drin sind", erläutert Lange. Die Erkenntnis des damaligen Abends war, dass es offenbar viel mehr Löwen-Tattoos gibt, als man gemeinhin denkt.

Dass Tätowierungen im Zuge des Körperkults in den vergangenen Jahren einen ungeheuren Popularitätsschub genossen haben und mittlerweile in allen Gesellschaftsschichten eine hohe Akzeptanz finden, war auch den beiden Sechziger-Fans bewusst, die selbstredend ebenfalls Löwen-Motive unter der Haut tragen.

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Quelle: SZ

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Schon nach kurzer Recherche war klar: "Logos von Fußballvereinen werden eher selten gestochen, aber Sechzig ist darunter wahnsinnig oft vertreten", sagt Lange. Und Schmied ergänzt: "Der Löwe gibt einfach brutal viel her: das Tier, das Wappen, Stadt, Stadion." Ein Privileg der Traditionsvereine. Denn was sollte sich ein Fan von Rasenballsport Leipzig schon stechen lassen: eine Getränkedose, ein paar Flügel?

Anfangs fragten Lange und Schmied im Freundeskreis nach, dann bei den Spielen in der Fankurve. Richtig ab ging es allerdings erst, als das Internet ins Spiel kam: Die beiden wurden von E-Mail-Bildern förmlich überflutet. 1700 waren es bis Annahmeschluss im Mai, 600 wählten sie letztlich für das Buch aus, das in Kapitel aufgeteilt ist: Arme und Beine sind in der Überzahl, aber es gibt auch die Abschnitte "Brust, Bauch", "Rücken, Schulter" und "Sonstiges" , wo beispielsweise sechs Fans abgebildet sind, die sich "1860" im Mund auf die Unterlippe haben stechen lassen.

Tattoo von Tempel, München

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Quelle: oh/Tattoo von Tonik Tattoo, München

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Die Autoren haben viel Arbeit in ihr Projekt gesteckt, dabei sind beide voll berufstätig: Lange arbeitet bei einer Münchner Brauerei, der Sozialpädagoge Schmied baut gerade eine neue Firma für Strandkleidung mit dem Namen "Dirty Beaches" auf. Ursprünglich hatten sie sogar vorgehabt, die Produktion im Alleingang zu stemmen. "Doch dazu hätten wir im hohen fünfstelligen Bereich investieren müssen", sagt Schmied.

Mit der Unterstützung des Werkstatt-Verlags in Göttingen, der sich auf Sport spezialisiert hat, wurde die Idee realisiert. Nach dem HSV ist der TSV 1860 nun erst der zweite deutsche Verein, über den es ein Tattoo-Buch gibt.

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Quelle: oh/Tattoo von Hoftätowiererei Giesing

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Die Fotos kamen beinahe aus der ganzen Welt: "Bis auf Afrika sind alle Kontinente vertreten", sagt Schmied. Im Buch sind Tätowierte aus Neuseeland zu sehen, aus Argentinien, Thailand und den USA. Und natürlich zahlreiche, die in der "Hoftätowiererei Giesing" in der Edelweißstraße bearbeitet wurden.

Deren Inhaber, Sebastian "Wasi" Hierneiß, hat eine vage Erklärung für die vielen Fans der Blauen, die ihre Verbundenheit mit dem TSV 1860 unwiderruflich auf ihrem Körper eingravieren möchten: "Je schlechter es einem Verein geht, umso tiefer ist die Liebe."

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Quelle: oh/Tattoo von Revolution Tattoo, Türkheim

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Der Inhaber des Giesinger Studios kommt im Buch ebenso zu Wort wie andere Tätowierer, Fanvertreter und sogar Manfred Wagner, Mitglied der 1860-Meistermannschaft von 1966. Wie seine Mitarbeiter "Hias" und "Herzna" ist auch der Chef ein Löwe durch und durch. Im Schnitt wird in der Hoftätowiererei einmal die Woche ein Sechziger-Tattoo gestochen.

Und was, wenn einmal ein Bayern-Fan hereinschneit und das Wappen mit dem Rautenmuster oder gar ein großflächiges Beckenbauer-Konterfei verlangt? "Ganz einfach: Das machen wir nicht", sagt Hierneiß.

© SZ.de/bica/infu
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