Tatortreiniger Peter Anders:Ein blutiges Geschäft

Er putzt dort, wo andere nicht hinsehen können: Peter Anders ist Tatortreiniger. Der Münchner erklärt, wie man Blutflecken beseitigt und warum er sich ausgerechnet einen Job mit Maden und Gestank ausgesucht hat.

Martin Hammer

Peter Anders kommt immer dann, wenn der Tod hässliche Spuren hinterlassen hat: Der 45-Jährige arbeitet als Tatortreiniger. Er wischt Blut auf, beseitigt Insekten und den Geruch von Leichen. Nun hat er über seine Einsätze ein Buch geschrieben. "Was vom Tode übrig bleibt" ist im Heyne-Verlag erschienen.

tatortreiniger

''Wir kommen und alles ist wieder gut.'' Viele Menschen seien mit einer blutverschmierten Wohnung völlig überfordert, sagt Tatortreiniger Peter Anders.

(Foto: Kay Blaschke)

SZ: Gibt es einen Trick, wie man Blutflecken beseitigt?

Peter Anders: Die Frage stellt man mir oft. Aber für den Hausfrauengebrauch bin ich nicht der richtige Ansprechpartner. Wenn wir zum Einsatz kommen, geht es um großflächige Verschmutzungen mit Blut, entsprechend aggressiv sind unsere Reinigungsmittel. Die dürften Sie privat niemals verwenden. Aber auch wir haben klare Grenzen. Es gibt empfindliche Stoffe, da geht nichts mehr, die müssen dann raus. Wichtig ist bei Blutflecken aber grundsätzlich: Niemals reiben, das ist tödlich, und niemals warmes Wasser.

SZ: Dabei ist das größte Problem am Tatort nicht das Blut, sondern der Gestank, schreiben Sie in Ihrem Buch. Der Geruch des Todes lasse sich durch nichts neutralisieren.

Anders: Der Leichengeruch hat leider die Eigenschaft, sich überall einzulagern. Je länger eine Leiche herumliegt, desto schwieriger wird es für uns. Schrubben hilft da nicht, oder einfach drüberweißeln. Der Gestank bleibt. Einen Ort, an dem eine Leiche lange gelegen hat, kann ein normaler Mensch nicht selbst so reinigen, dass wieder gewöhnliches Leben dort stattfinden kann. Da braucht es einen Profi.

SZ: Wie gehen Sie vor, wenn Sie an einen Tatort kommen?

Anders: Das Wichtigste ist, man muss zuerst alle Bereiche, die mit Körperflüssigkeit kontaminiert sind, entfernen. Wenn die Leiche etwa auf dem Parkett liegt, hilft nur großflächig ausschneiden. Einmal hatten wir eine Leiche, die drei Tage bei 90 Grad in der Sauna lag. Da mussten wir nicht nur die Sauna komplett abbauen, sondern auch den Fliesenboden entfernen. Hätten wir das nicht gemacht, hätte es weiter nach Tod gestunken. Nach dem Groben kommt dann das Schrubben und Reinigen des restlichen Raums.

''Es gibt Tage, da würgt es einen''

SZ: Wie halten Sie bei der Arbeit diesen Geruch aus?

Anders: Meistens kann ich damit umgehen, obwohl ich ein Mensch bin, der eher geruchsempfindlich ist. Doch es gibt Tage, da würgt es einen.

SZ: Und dann?

Anders: Dann breche ich ab, und der nächste muss ran. Wir sind immer mehrere an einer Einsatzstelle. Es gibt Dinge, die ich nicht ertragen kann, da wird mir schon beim Anblick übel. Wir hatten mal eine Dogge, deren Haufen im Garten musste meine kleine Tochter beseitigen.

SZ: Blut, Gestank, Fliegen, Maden und Käfer - warum haben Sie sich ausgerechnet diesen Job ausgesucht?

Anders: Es gibt viele Gründe: Ich bin seit 25 Jahren bei der Feuerwehr und da habe ich gesehen: Es ist notwendig, dass jemand diese Arbeit macht. Der zweite Anreiz ist: Wir helfen Menschen, ihr Trauma zu bewältigen. Die Angehörigen werden zwar psychologisch betreut, aber dann stehen sie dennoch in einer blutverspritzten Wohnung da, das ist extrem belastend. Und der dritte Faktor ist natürlich: Wir wollen Geld verdienen.

SZ: Verdient man so viel als Tatortreiniger?

Anders: Also für fünf Euro Stundenlohn putzen wir nicht zusammen. Was eine Reinigung kostet, hängt von den Umständen ab, die Stundensätze liegen bei rund 70 Euro pro Mann.

SZ: Wer bezahlt Sie am Ende?

Anders: Entweder die Angehörigen oder - meistens - der Wohnungseigentümer. Ich rücke zwei bis vier Mal pro Monat aus. Nur zehn Prozent unserer Fälle sind wirklich Gewaltverbrechen, zehn Prozent Suizide und zehn Prozent Unfälle. Der große Rest sind Leichen, die wochenlang in der Wohnung liegen, bevor sie gefunden werden. Das sind oft einsame, alte Menschen oder Suchtkranke, da gibt es dann keine Angehörigen, und die Kosten bleiben am Eigentümer hängen.

SZ: Wann haben Sie mit dem Tatortreinigen angefangen?

Anders: 2005 hat mich ein Feuerwehrkollege vom Kriseninterventionsteam gefragt, ob ich das nicht machen würde. Immer wieder gab es das gleiche Problem: Wenn sich beispielsweise ein Kind in der Wohnung erschießt, kann man nicht den Eltern zumuten, dass sie die Blutspuren wegputzen. Da ich nebenbei schon eine Ausbildung zum Schädlingsbekämpfer gemacht hatte, habe ich zugesagt.

SZ: Und ihre Familie fand das toll?

Anders: Meine Frau hat gesagt: Muss das sein? Hast du nicht schon genug gesehen? Aber heute springen sie und meine Tochter sogar manchmal ein, wenn Not am Mann ist. Außerdem ist die Familie mein wichtigster Therapeut, das sind Zuhörer, die einem ganz viel Last abnehmen.

Nach dem Reinigen erst mal essen

SZ: Sie reden aber nicht nur mit ihrer Familien über das Erlebte, sondern auch mit den Mitarbeitern: Nach jedem Einsatz gehen Sie gemeinsam erst mal essen.

Anders: Das ist unser Ritual, ja. Wir brauchen das, um den Stress abzuarbeiten, um runterzufahren. So kommen wir in einen Bereich, der für unsere Seele wieder gesund ist.

SZ: Hat man denn da wirklich Appetit?

Anders: Natürlich. Ich habe Hunger nach der Arbeit. Wir essen auch an der Einsatzstelle was, wenn der Einsatz länger dauert. Wir sind ja Menschen und keine Maschinen. Wenn wir uns am Ende selbst gereinigt haben, dann wird gemeinsam gegessen und über den Einsatz gesprochen. Auch was man beispielsweise besser machen könnte. Für eine Tatortreinigung gibt es ja keine festen Regeln und keine Ausbildung, da muss man improvisieren, da ist Talent gefragt. Bei unserem ersten Fall dachten wir, wir wären gut ausgerüstet, aber das war etwas naiv. Seitdem sind wir ständig dabei, unsere Methoden zu verbessern.

SZ: Sie entwickeln am Leichenfundort einen richtigen Ehrgeiz: Fotografieren alles, damit es genauso aussieht wie vorher, dekorieren den Raum ...

Anders: Ich bin Perfektionist. Der Kunde soll sich in dem Zimmer wieder daheim fühlen. Dafür bekommt man auch Anerkennung. Die Leute sind ja von der Situation mit einer blutverschmierten Wohnung völlig überfordert: Und wir kommen, und alles ist wieder gut. Außerdem wischen wir nicht nur, wir sind auch ein Stück weit Betreuer. Manchmal reden wir erst mal eine Stunde mit den Angehörigen bevor wir loslegen.

Harte Hunde

SZ: Macht es die Arbeit nicht schwerer, wenn man weiß, was da passiert ist?

Anders: Wenn ich putze, will ich wissen, warum ich putze. Und die meisten Angehörigen wollen sich das auch von der Seele reden. Natürlich nehmen einen manche Fälle emotional mit - das ist dann schlimmer als der Gestank und das Blut, das sind wir ja gewohnt. Vergangenes Jahr waren wir in Freising, wo ein Mann seine ganze Familie erschossen hat, das konnte man an den Spuren ablesen. Und bei einem Fall kriege ich immer noch eine Gänsehaut, da starb die krebskranke, 50-jährige Tochter im Haus der Mutter an einem Aortariss, und alles war voller Blut. Das war einer der wenigen Einsätze, wo die Mutter dann selbst mitputzen wollte.

SZ: Wenn Sie die Fälle in Ihrem Buch erzählen, klingt das oft nicht sehr pietätvoll. Und Sie schreiben selbst: "Wir sind harte Hunde." Ist das eine Form des Selbstschutzes?

Anders: Man muss als Tatortreiniger mit dem Thema Tod natürlich umgehen können, sonst braucht man den Job nicht machen. Vor Ort sind wir selbstverständlich pietätvoll, aber wenn man dann unter sich ist, dann ist das wie bei Notärzten halt auch, dann macht mal einen Scherz über das Erlebte. Das ist eine Form der Stressverarbeitung. Beim Putzen selbst darf man nicht darüber nachdenken, da wird man sonst wahnsinnig.

SZ: Auch in Ihrem Buch geht es durchaus blutig zu, Sie spielen mit der Faszination des Grausigen und Ekligen?

Anders: Es geht nicht um Sensationslust, darauf haben wir bewusst verzichtet. Das Buch ist nur eine abgeschwächte Form der Realität. Wir sehen Sachen, die können Sie sich nicht einmal vorstellen, die wollen Sie sich auch nicht vorstellen.

SZ: Stumpft man als Tatortreiniger ab?

Anders: Bei mir ist das Gegenteil der Fall, ich werde eher immer sensibler, vor allem was Gerüche angeht. Aber wahrscheinlich spielt da das Kopfkino mit, was man in all den Jahren aufgenommen hat.

SZ: Träumen Sie gelegentlich davon, irgendwann mal einen anderen Beruf zu haben.

Anders: Nein, keinesfalls, ich will das Geschäft ausbauen. Ich weiß nicht, ob Sie dieses Gefühl kennen, wenn man seine Arbeit total gerne macht, wenn einen der Job richtig befriedigt.

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