Tassilo:Queer ist nicht gleich queer

Kamill Lippa, 24, hat schon zu Schulzeiten einen Film über Transpersonen gedreht. Mit seiner Kunst will er die LGBTIQ*-Szene sichtbar machen, aber auch Probleme innerhalb der Community aufzeigen

Von Laurens Greschat

Zwei Männer liegen sich eng umschlungen und oberkörperfrei in den Armen. Einer der beiden hat die Augen geschlossen, das Gesicht ist in der Schulter seines Gegenübers vergraben, der andere blickt sanft aber auffordernd in den Raum. Es ist ein intimer Augenblick zwischen zwei nicht-weißen Männern, der für den Betrachter offenlässt, ob es sich bei den beiden Männern um Liebhaber oder enge Freunde handelt.

Diese Szene hat Kamill Lippa, 24, an die Wand des Sub e. V., einem Treffpunkt der LGBTIQ*-Szene in München, gemalt. In Überlebensgröße. In einer Nische im Schaufenster. Diesen Platz hat er absichtlich gewählt. Sein Wandbild soll sowohl für Passanten als auch die Besucher des Vereins sichtbar sein. Und das hat einen Grund: Kamill Lippa möchte mit seiner Kunst queere Menschen sichtbar machen, Identitätsfragen aufwerfen und gleichzeitig auf Probleme innerhalb der Münchner Szene hinweisen. Denn der junge Künstler hat ein klar definiertes Ziel: "Die Schwulen- und Lesbencommunity muss inklusiver werden."

Tassilo: Suche nach Identität: Als Fachoberschüler hat Kamill Lippa einen Kurzfilm zum Thema gedreht, der 2016 einen von der EU ausgelobten Preis gewann. Als Künstler, Fotograf und Teil von Münchens queerer Community fordert der 24-Jährige auch dort erhöhte Aufmerksamkeit, was Marginalisierung angeht.

Suche nach Identität: Als Fachoberschüler hat Kamill Lippa einen Kurzfilm zum Thema gedreht, der 2016 einen von der EU ausgelobten Preis gewann. Als Künstler, Fotograf und Teil von Münchens queerer Community fordert der 24-Jährige auch dort erhöhte Aufmerksamkeit, was Marginalisierung angeht.

(Foto: Yoav Kedem)

Diese Motivation kommt in seinem Wandbild zum Ausdruck. Die Szene zeigt ganz bewusst nicht-weiße Männer. Und wer genau hinsieht, erkennt, dass einer der Männer Nagellack in rosa, blau und weiß trägt, den Farben der Transgender-Pride-Flagge. "Ich wollte, dass man als Transperson oder schwarze Person dieses Wandgemälde sieht und merkt, ich bin hier nicht allein", sagt er.

Kamill Lippa, Crop-Top, goldene Ohrringe, blauer Lidschatten, lässt den Blick durch den Raum schweifen, während er über die Motivation für seine Arbeit spricht. Die Wände seiner Einzimmerwohnung in der Nähe des Nymphenburger Schlosses sind mit Bleistiftzeichnungen und Madonna-Postern geschmückt. Viele Themen in seiner Kunst sind aus seiner eigenen Erfahrung erwachsen und der Beschäftigung mit seiner eigenen Identität. Kamill Lippa bezeichnet sich selbst als nicht binär, fühlt sich also weder männlich noch weiblich. Mit neunzehn zog er von Altötting nach München, weil er sich künstlerisch weiterentwickeln wollte und in München eine große queere Szene bereits existierte. Anders als auf dem Land. "Das Landleben und die Kultur, die auf dem Land herrscht, geht nicht zwingend Hand in Hand mit meinen Interessen", sagt Lippa und lächelt anschließend verschmitzt.

Trotzdem macht er auch hier, im vermeintlich liberalen München, Erfahrungen mit Ausgrenzung. Wenn Kamill Lippa durch die Stadt läuft und Klamotten trägt, die weiblich gelesen werden, wie er es ausdrückt, also gesellschaftlich eher Frauen zugeschrieben werden, muss er damit rechnen, diffamierende Kommentare und schräge Blicke zu ernten. "So wie ich heute gekleidet bin, kann ich mir ausrechnen, dass ich entweder was zu hören bekomme oder eine andere Form von Übergriffigkeit erfahre", sagt er. Deshalb muss sich Lippa jeden Tag aufs Neue fragen, ob er bereit ist, sich diesen potenziellen Übergriffen auszusetzen und seine Klamotten dementsprechend wählen. "Als queere Person hat man in München immer noch sehr zu kämpfen", sagt Kamill Lippa.

Kamill Lippa

"Ich wollte, dass man alsTransperson oder schwarze Person dieses Wandgemälde sieht und merkt, ich bin hier nicht allein", sagt Kamill Lippa.

(Foto: Privat)

Aufgrund seiner eigenen Erfahrungen, so scheint es, ist es ihm wichtig, auch innerhalb der Szene Veränderungen anzustoßen, die er in seiner Kunst thematisiert. "Wir in der Community haben alle die Erfahrung gemacht, wie es ist, diskriminiert zu werden, und es liegt in unserer Verantwortung diese Diskriminierung nicht zu reproduzieren", betont der junge Künstler.

Das Wandbild ist nicht die erste Gelegenheit, bei der er die Probleme und Bedürfnisse von queeren Menschen thematisiert. Noch zu Schulzeiten nahm er an einem europaweiten Wettbewerb teil und drehte einen Film über Transpersonen. Auch beim qARTeer-Wettbewerb des Diversity e. V. nahm Lippa schon teil. Für diesen reichte er eine Bilderserie von Fotografien ein, die die Erwartungshaltung gegenüber weiblich gelesenen Personen thematisiert. Zu sehen sind Menschen, deren Gesichter hinter einer halbdurchlässigen Oberfläche verborgen sind. Ihre Konturen sind zu erahnen, bleiben aber schemenhaft. Sie wirken wie in Wachs getaucht. So ähneln sie Äpfeln aus dem Supermarkt, die von einer Wachsschicht umhüllt sind. Poliert, um einem Idealbild zu entsprechen. Nur, dass es sich nicht um Äpfel handelt, sondern um Menschen, die unter der Schicht sinnbildlich zu ersticken scheinen.

Trotz aller Kritik in seiner Kunst ist es Kamill Lippa aber wichtig zu betonen, wie bedeutend die bestehende queere Szene und die Arbeit in den Freiwilligen-Vereinen ist. "Ich bin nach München gekommen und hab' etwas von der queeren Szene bekommen, noch bevor ich selber etwas geben konnte und dafür möchte ich mich auch bedanken", sagt er.

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