Tassilo:In die Bresche gesprungen

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Das Trio von der "Kulturschneise Berg am Laim" vernetzt Kreative und gibt ihnen online eine Video-Plattform. Samstags sind neue Filme zu sehen. Mindestens bis das ersehnte Kulturbürgerhaus steht, analog aus Stein und Glas

Von Renate Winkler-Schlang, Berg am Laim

Es darf einfach nicht sein, dass so eine Stille eintritt. Dass gar nichts mehr stattfindet. Das war Constanze Kobells spontane Reaktion auf den ersten Lockdown vor gut einem Jahr. Ob Bürgerfest und Blasmusik, Maibaumaufstellen oder Krippenausstellung: "Ich war überall dabei. Auch im Werksviertel, bei den Flurfesten in der White Box, bei Atelierführungen." Sie gehe auch gerne in die Oper, doch die Kultur im heimischen Viertel mache ihr besonders Spaß. "Ich will unterhalten werden." So fasst die Berg am Laimerin ihr Grundbedürfnis nach Kultur ohne Schwellen zusammen. Schon zu Beginn der Pandemie habe sie erkannt: "Dann muss ich auch etwas dafür tun."

"Der Grund, warum Künstler Kunst machen, ist nicht weggefallen durch Corona": Mathias Brandstätter, Jenni Brichzin und Constanze Kobell (von links) organisieren dafür mit der Kulturschneise eine Plattform. (Foto: Florian Peljak)

Als Mitglied im Trägerverein für das künftige Kulturbürgerhaus unterbreitete Kobell dessen Vorsitzendem Robert Kulzer ihre Idee eines lokalen Kultur-Kanals im Internet. Kulzer trug den Vorschlag weiter, es fanden sich spontan zwei Mitstreiter: Jenni Brichzin und Mathias Brandstätter. Das war die Geburtsstunde eines neuen Angebots - der "Kulturschneise Berg am Laim". Wie eine Schneise teile die Berg am Laim-Straße den Stadtteil, das sei leider ein typisches Merkmal, so Brichzin: "Aber zu beiden Seiten blüht die Kultur."

Dereinst soll ein Kulturbürgerhaus aus Stein und Glas an der St.-Michael-Straße zum Kristallisationspunkt werden, doch bis es real ist, bekommen Malerinnen und Musiker, Tänzer und Sängerinnen, egal ob Profis oder aktive Laien, nun bei der Kulturschneise die Chance, zu zeigen, dass es sie immer noch gibt. Jeden Samstagabend um 18 Uhr ist ein neuer Film der Kulturschneise zu sehen, seit Wochen: Auf der Plattform kam bereits ein bunter Querschnitt derer zusammen, die im Viertel kreativ leben oder arbeiten. Dies ist neben der Mindestqualität eines Streifens einzige Voraussetzung für die Präsenz auf oder in der Schneise: der Berg-am-Laim-Bezug.

Und den haben so viele. Im Streitfeld etwa, der Künstler-Genossenschaft, hat Malerin Monika Reinhart ihren Film "Farbsolo" aufgenommen. Im Werksviertel ließ Kristin Brunner filmen, wie "Blast off", ihre Skulptur aus Zucker und Seidenpapier, entstand. Lukas Loske formte "Munition für die Kunst": massenhaft Tonkugeln, verbunden mit einer siebeneinhalbminütigen, wichtigen Botschaft: "Der Grund, warum Künstler Kunst machen, ist nicht weggefallen durch Corona." Die Kugeln verstehe er nicht als Waffe, sondern als "Nahrung zum Durchhalten". Ein viel geklickter Lokalmatador ist auch Bernd Lücking. Als Musiklehrer im Michaeligymnasium hat er generationenweise Schülern ein Gefühl für Rhythmus mitgegeben, in einem Stück ohne Worte zeigt er in der Kulturschneise mit seiner Frau Eva präzise Percussion ohne Worte und Instrumente, die trotz Masken einfach gute Laune macht.

Auch Musik und Tanz kommen nicht zu kurz, ob Anleitung zum Cha-Cha-Cha, Schubert und Schumann als Hausmusik, Stefan Stefinsky am Saxofon, eine Damencombo an der Quetsche oder Chöre aus dem Viertel. Zu Weihnachten tröstete die Weihnachtsgeschichte auf Deutsch und Englisch, gelesen von örtlichen Geistlichen, zu Ostern interviewte Constanze Kobell eine Ordensschwester des örtlichen Klosters zum Freiluft-Kreuzweg und zeigte in dem besinnlich-meditativen Film die sonst eingelagerten Tonreliefs der denkmalgeschützten Anlage. Heimatkunde im besten Sinn vermitteln die Filme zu Graffiti rund um die Neumarkter Straße, zum neuen Gleispark, dem Rokoko-Kleinod St. Michael oder zu Sophie Scholl, Namenspatronin der evangelischen Gemeinde.

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Dass dieses neue Hobby oder Ehrenamt so groß wird und so viel Arbeit macht, hatten die Drei anfangs nicht vermutet. Zum Glück, so Brichzin, sei sie mit einer schützenden Naivität herangegangen. Brandstätter hat eigens durchgezählt: Mehr als 800 Mails haben sie inzwischen ausgetauscht, zahllose Videokonferenzen absolviert. Sie haben sich ein Logo und eine Erkennungsmelodie beschafft, sich schlau gemacht über Gema und Persönlichkeitsrechte im Netz, haben sich Schneideprogramme gekauft und etwa beim Besuch vom Kulturlieferdienst selbst die Handy-Kamera draufgehalten. Das kleine Team profitiert von der Unterschiedlichkeit seiner Mitglieder. Kobell, Historikerin, Übersetzerin für leichte Sprache und Mitglied im Behindertenbeirat der Stadt, setzt sich für Barrierefreiheit auch im Netz ein und hat einen Teil der Beiträge mit Untertiteln für Gehörlose versehen. Die Soziologin Brichzin, früher für die Grünen im Bezirksausschuss, kannte viele Kreative aus der Zeit, als sie das Festjahr zum Eingemeindungsjubiläum organisiert hat, andere aus ihrem Engagement in der Initiative "Berg am Laim für Demokratie, Freiheit und Europa". Brandstätter, ursprünglich Naturwissenschaftler, managt den Stadtteilladen und auch die Öffentlichkeitsarbeit für die Sophie-Scholl-Gemeinde, spielt dort die Orgel, stellte als Hobbyfotograf Kalender mit eigenen Werken zusammen. Er freut sich über all die neuen Vernetzungsmöglichkeiten, denn noch kommen nicht genug Vorschläge einfach so auf die Drei zu, es bedarf der aktiven Akquise. Sein Wunsch: Zuwachs im Team, gerne ein im Filmen und Schneiden bewanderter Rentner, den man auch mal tagsüber zu einem Ereignis bitten kann.

Der Stoff wird der Kulturschneise nicht ausgehen. Brandstätter denkt etwa an Rita Strotjohann und deren dokumentarische Filme vergangener Jahrzehnte über Berg am Laims letzten Bauern oder die Maikäfersiedlung. Brichzin träumt von einer Doku zum Hachinger Bach und dessen bislang gescheiterter Freilegung, will aber auch die Veränderungen im Werksviertel begleiten. Eigenproduktionen aber kosten Geld. Auch den Künstlern will das Team langfristig mit Hilfe von Mitteln aus dem Bezirksausschuss oder Kulturhaus-Trägerverein deren Beiträge honorieren. Denn eines solle die Kulturschneise klar machen, sagt Jenni Brichzin: "Wir tun im Moment als Gesellschaft so, als wäre Kunst nicht systemrelevant. Doch ich spüre da gerade jetzt ein totales Angewiesensein."

Wenn Sie eine Kandidatin oder einen Kandidaten für den SZ-Kulturpreis vorschlagen wollen, schreiben Sie bitte bis 30. April eine E-Mail an tassilo@sz.de.

© SZ vom 14.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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