Süddeutsche Zeitung

Tarifstreit im Einzelhandel:Von der Kunst zu überleben

Polixeni Bakaleri ist Verkäuferin - ihr Gehalt ist knapp für München

Nur das Kindergeld ist tabu. Die 184 Euro monatlich legt die Münchner Verkäuferin Polixeni Bakaleri seit der Geburt ihres Sohnes sofort zur Seite: Damit er einmal ein finanzielles Polster hat. Das restliche Einkommen, das die 47-Jährige aus ihrem Vollzeit-Job bei einer großen Modekette bekommt, geht vollständig für den Lebensunterhalt drauf. 2367 Euro brutto verdient sie für ihre Arbeit im Schichtdienst: Eine Woche früh, eine Woche spät - und freie Samstage gibt es selten.

Die gebürtige Griechin ist eine der etwa drei Millionen Beschäftigten im deutschen Einzelhandel, für die 50 Euro mehr oder weniger Lohn im Monat einen großen Unterschied machen. Nach dem Durchbruch in dem monatelangen Tarifstreit kann sie sich nun auf spürbar mehr Geld freuen: 2,5 Prozent in diesem und nochmals zwei Prozent im nächsten Jahr - das steht im neuen Tarifvertrag, der am Freitag für Bayern geschlossen wurde. Besonders im teuren München reichen die Einkommen aus Sicht der Gewerkschaft Verdi vorne und hinten nicht. "Wer mit dem Gehalt einer Verkäuferin in München auskommt, ist schon eine absolute Lebenskünstlerin", sagt Victoria Sklomeit von Verdi.

Das kann Bakaleri bestätigen. Obwohl auch ihr Mann eine Vollzeitstelle als Haustechniker hat, ist das Geld in der dreiköpfigen Familie knapp. Sohn Vasili hat vor einem Jahr Abitur gemacht, wohnt aber noch zu Hause, weil er bisher keinen Studienplatz bekommen hat. Das größte Glück der kleinen Familie ist die vergleichsweise günstige Miete für die Drei-Zimmer-Wohnung von 780 Euro warm pro Monat. "Wenn ich über 1000 Euro zahlen müsste, wüsste ich nicht, wie ich das machen sollte", sagt die Mutter. Der Herd ist seit Monaten kaputt, nur eine der drei Kochplatten funktioniert noch. Geld für einen neuen ist aber gerade nicht da. "Es muss auch so gehen", sagt Bakaleri. Ersparnisse hat die Familie nicht. "Wovon soll ich sparen?" Schließlich ist am Ende des Monats kein Geld mehr da.

Im Tarifstreit war die Altersvorsorge deshalb eines der wichtigsten Argumente der Gewerkschaft. Die meisten Beschäftigten im Einzelhandel seien akut von Altersarmut betroffen, warnte der bayerische Verdi-Verhandlungsführer Hubert Thiermeyer. "Ihre Gehälter reichen oft nicht aus, um im Alter über die Grenze der gesetzlichen Grundsicherung hinauszukommen." Auch Bakaleri engagiert sich in der Gewerkschaft, um für höhere Löhne zu kämpfen. Sie saß bei den Verhandlungen mit den Arbeitgebern zeitweise mit am Tisch. "Weltfremd", so hörte sie dort zum Auftakt, seien die Forderungen der Gewerkschaft von 5,5 Prozent mehr Lohn angesichts der schwierigen Lage des Einzelhandels.

Ein Umzug in eine andere Stadt, wo die Lebenshaltungskosten niedriger sind, kommt für die Verkäuferin aber nicht infrage. Seit 40 Jahren lebt sie in der Landeshauptstadt und hat hier eine neue Heimat gefunden: "München ist meine Stadt."

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SZ vom 18.07.2015 / Daniela Wiegmann, dpa
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