Wim Vandekeybus’ „Void“ in MünchenEine atemberaubende Eröffnung der Tanzwerkstatt Europa

Lesezeit: 2 Min.

Wahngebeutelte und andere Eigenartige treffen sich bei „Void“.
Wahngebeutelte und andere Eigenartige treffen sich bei „Void“. (Foto: Danny Willems)

Der belgische Choreograf und Regisseur Wim Vandekeybus eröffnet in der Muffathalle München die Tanzwerkstatt Europa. Sein Stück „Void“ erweist sich als wildes und virtuoses Ereignis.

Kritik von Sabine Leucht

Ein improvisierter Lampenschirm hängt an einer Angel über einer Frau mit Trommel. Was die mit ihren Drumsticks anfangen soll, scheint sie jedoch nicht zu wissen. Sie tastet sie ab wie Personen beim Security-Check oder bedroht damit ihr Instrument. Schließlich haut sie sich einen Stick auf den Kopf, und siehe da: Es tönt und dröhnt sehr authentisch.

Schon zu Beginn von „Void“ ist alles außergewöhnlich. Die vertraute Realität ist ver-rückt. Und die Verhaltensweisen der anderen fünf Tänzer und Tänzerinnen sind es auch, die kurz nach ihrer Kollegin auf die Bühne der Muffathalle strömen. Dort ist am Dienstag mit dem neuen Stück von Wim Vandekeybus die Tanzwerkstatt Europa (TWE) eröffnet worden.

Nach der Uraufführung von „Void“ (auf Deutsch: „Leere“) im Herbst 2024 sprach die belgische Presse von einer der wildesten und bewegendsten Arbeiten von „Ultima Vez“ seit Langem und türmte Adjektive wie „roh“, „gewagt“, „kraftvoll“ und „sexy“ aufeinander. Diese beschreiben allerdings eher die generelle Bild- und Bewegungssprache von Wim Vandekeybus, der Ende der Achtzigerjahre die Tanzwelt revolutionierte und zuletzt 2021 mit seinem Wildnisstück „Traces“ zur TWE geladen war. Und auch hier springen die Tänzer und Tänzerinnen einander wieder mehr an als bei.

Der Mensch ist bei Vandekeybus Homo Animalis und Überdruckventil, Tänzer sind für ihn Adrenalin-süchtige Weirdos. In „Void“ treibt er das noch einmal auf die Spitze und füllt die Bühne mit sechs Außenseitern, Wahngebeutelten und anderen Eigen-Artigen. Und weil die von Lotta Sandborgh, Cola Ho Lok Yee, Paola Taddeo, Adrian Thömmes, Hakim Abdou Mlanao und Babette Verbeek verkörpert werden, ist für Temperament, Persönlichkeit und tänzerische Virtuosität bestens gesorgt. Das Energielevel ist hoch, Bewegungen entladen sich anfallartig oder werden akrobatisch überformt. Und wenn sich ihre explosiven Begegnungen zwischen Martial Arts und Erotik einpegeln, wird es teilweise atemberaubend.

Wären da nicht die behaupteten Charaktere wie das verlassene Kind, die ehemalige Prostituierte oder der Neu-New-Yorker, der sich nach Finnland zurücksehnt. Die Performer bekennen sich verbal zu diesen „Rollen“ und laden redundante Sätze wie „Du bist eine Gefahr für dich selbst“ oder „Du wirst dich nie einfügen“ mit einem im Sprechtheater längst aus der Mode gekommenen Pathos auf. Selten aber werden diese Background-Storys szenisch und situativ beglaubigt. Und wenn, dann bekommt das schnell einen zirzensisch-jugendtheatrigen Touch: Da ist die introvertierte Frau, die sich selbst im Karton verstaut, rollende Teller werden zur Kontaktanbahnung benutzt und später zerschlagen – und es wird wild geschrien und gelacht.

Den stärksten Eindruck neben den unterschiedlichen Tänzertypen hinterlassen die schimmernden Stoffbahnen in Schwarz und Weiß. Und eine davon fegt am Ende die Bühne wirklich leer.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Christine Wunnicke und Hans Pleschinski im Gespräch über Freundschaft und Literatur
:„Das queere Personal hat bei uns eine große und sehr belebende Bedeutung“

Christine Wunnicke und Hans Pleschinski sind seit Jahrzehnten befreundet, und sie interessieren sich für ähnliche Themen. Wie beeinflussen die Schriftsteller einander? Ein Gespräch über Freundschaft, Konkurrenz und Figuren aus der Geschichte.

SZ PlusInterview von Antje Weber

Lesen Sie mehr zum Thema

  • Medizin, Gesundheit & Soziales
  • Tech. Entwicklung & Konstruktion
  • Consulting & Beratung
  • Marketing, PR & Werbung
  • Fahrzeugbau & Zulieferer
  • IT/TK Softwareentwicklung
  • Tech. Management & Projektplanung
  • Vertrieb, Verkauf & Handel
  • Forschung & Entwicklung
Jetzt entdecken

Gutscheine: