Zeitgenössischer Tanz:Flashbacks und Sidekicks

Zeitgenössischer Tanz: Da staunen die Massen: Auftritt der Iwanson Dance Company beim Festival "München Kultur" 1978 auf dem Marienplatz.

Da staunen die Massen: Auftritt der Iwanson Dance Company beim Festival "München Kultur" 1978 auf dem Marienplatz.

(Foto: Iwanson International / Iwanson-Sixt-Stiftung)

Spannender Herbst in Münchens Freier Tanzszene mit neuen Produktionen, Filmporträts und Zeitzeugen, die Rückschau auf die Anfänge der Bewegung in den Siebzigerjahren halten.

Von Jutta Czeguhn

Insgesamt 15 000 Zuschauer hätten vor dem Rathaus-Tanzpodest am Marienplatz die Auftritte der jungen Iwanson Dance Company beim Festival "München Kultur" verfolgt, notiert der SZ-Reporter. Ein Fotodokument aus dem Jahr 1978 zeigt den Marienplatz so voll wie sonst nur bei den Meisterfeiern des FC Bayern. Die Menschen starren auf ein tanzendes Paar, der Mann mit freiem Oberkörper, die Frau trägt definitiv keine Spitzenschuhe. Es sind die Jahre, in denen sich eine Freie Tanzszene in München formiert, eine revolutionäre und kreative Epoche, mit Protagonisten, die kein Bubble-Dasein führen wollen, sondern mit Auftritten wie denen am Marienplatz den unmittelbaren Kontakt zum Publikum suchen. Nach knapp 45 Jahren blickt Münchens Freie Tanzszene nun auf diese Anfänge zurück, rekonstruiert Entwicklungslinien, übt den Realitäts-Check im Heute, wagt den Ausblick. Ein spannender Herbst in der viel beschworenen Tanzstadt München.

Zeitgenössischer Tanz: In ihrer Solo-Performance "Un Amor oder Die Erfindung meiner Mutter" nähert sich Eva Borrmann schonungslos und sehnsüchtig ihrer Flamenco tanzenden Mutter an.

In ihrer Solo-Performance "Un Amor oder Die Erfindung meiner Mutter" nähert sich Eva Borrmann schonungslos und sehnsüchtig ihrer Flamenco tanzenden Mutter an.

(Foto: Johannes Walter)

Wenn sich München überhaupt so nennen darf, dann ist dies zu einem Gutteil der Tanztendenz München und ihrer ausdauernd praxisnahen Arbeit zu verdanken. Choreografen und Choreografinnen haben den Verein 1987 gegründet. Mit Formaten wie den "Offene Studios" oder den "Sidekicks" sowie einem Residenzprogramm spinnt die Tanztendenz seither internationale Netzwerke, schafft Künstlern Raum zu selbstbestimmtem Arbeiten. Zum 35-jährigen Bestehen gibt es nun von 24. bis 26. November im Schwere Reiter eine Sidekicks-Ausgabe mit zeitgenössischen Choreografien von Jonas Frey, Eva Borrmann und Lucia Kickham, sowie Workshops und Talk ("Reden (wir) über Tanz!").

Einen Einblick in die Lebendigkeit und Diversität der Freien Münchner Tanzszene gewährt die Regisseurin Miria Wurm mit ihrem Film "7 thoughts about dance". In Kurzporträts begegnet man Tanzschaffenden unterschiedlicher Generationen und künstlerischer Ausrichtung wie Anna Konjetzky, Ceren Oran, Diego Tortelli, Jasmine Ellis, Micha Purucker, Moritz Ostruschnjak oder Stephan Herwig. Uraufführung ist am 30. November, 18.30 Uhr, im Münchner Monopol Kino.

Zeitgenössischer Tanz: Tanzschaffende im Porträt: Choreograf Stephan Herwig zusammen mit Tänzerin Anima Henn beim Dreh zum Film "7 thoughts of dance".

Tanzschaffende im Porträt: Choreograf Stephan Herwig zusammen mit Tänzerin Anima Henn beim Dreh zum Film "7 thoughts of dance".

(Foto: Sara Kurig)

Eine Arbeit des Choreografen Stephan Herwig live erleben kann man am 1. Dezember im Schwere Reiter bei einer Uraufführung: Zoran Imširović spielt am Flügel Präludien von Debussy und Chopin, sieben Tänzerinnen und Tänzer erforschen in verschiedenen Konstellationen das Verhältnis von Tanz und Musik jenseits reiner Interpretation. Herwig, der eigentlich die Musikkomposition zu seinen Stücken immer parallel zu den Proben kreiert, setzt sich hier erstmals mit vorgegebener Musik auseinander.

Jessica Iwanson, deren Tänzerinnen und Tänzer die Massen einst auf dem Marienplatz staunen ließen, ist eine der Zeitzeuginnen, die am 3. Dezember in der Isarphilharmonie beim Flashback in die Münchner Tanzgeschichte etwas zu erzählen haben. Eingeladen hat die schwedische Tänzerin und Choreografin das Internet-Portal "Munich Dance Histories", das sich zum Ziel gesetzt hat, die spannenden Tanztraditionen der Stadt von Anfang des 20. Jahrhunderts bis heute umfassend zu dokumentieren. Und das im Diskurs mit der heutigen Tanzszene. Protagonisten beim Salongespräch sind beispielsweise Leanore Ickstadt, Micha Purucker, Walter Heun, Bonger Voges und Bettina Wagner-Bergelt, die in München 1987 das Internationales Tanzfestival "Dance" gründet hat und nach ihrer Zeit am Bayerischen Staatsballett dann als Intendantin das Wuppertaler Tanztheater und damit das Erbe von Pina Bausch durch herausfordernde Zeiten führte.

"Side Kicks", 24. - 26. 11., Schwere Reiter, www.schwerereiter.de, Firmpremiere "7 thoughts about dance", 30. 11.,, 18.30 Uhr, Monopol Kino, Stephan Herwigs "Les Préludes", Uraufführung 1. 12., weitere Vorstellungen 2., 3. und 4. 12, jeweils 20.30 Uhr im Schwere Reiter, Salon der Munich Dance Histories, 3. 12., 17-20 Uhr, Saal X, HP8, Eintritt ist frei, Anmeldung: kontakt@munich-dance-histories.de, Tel. 0173/6936835

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