Tanzkurs für den Kocherlball:"Man braucht kaum Talent"

Die bayerische Kultur ist wieder en vogue: Zur Einstimmung auf den Kocherlball gibt es im Hofbräuhaus kostenlose Volkstanzkurse. Die Münchner kommen in Scharen - der Nachholbedarf ist groß.

Anna Fischhaber

Der Boden bebt im weltberühmten Münchner Bierpalast im Takt mit der Blasmusik. Im Hofbräuhaus am Platzl drehen sich schwitzende Paare im Kreis, schneller und immer schneller. Doch diesmal sind es nicht Japaner, Koreaner oder Amerikaner, die nach der einen oder anderen Maß in Schwung gekommen sind. Die Münchner selbst nähern sich hier auf eine mehr oder weniger rhythmische Weise den eigenen Wurzeln.

Tanzkurs für den Kocherlball: Das Erkerzimmer im Hofbräuhaus ist bis auf den letzten Platz belegt. Auch viele junge Münchnerinnen sind zum bayerischen Tanzkurs gekommen.

Das Erkerzimmer im Hofbräuhaus ist bis auf den letzten Platz belegt. Auch viele junge Münchnerinnen sind zum bayerischen Tanzkurs gekommen.

(Foto: Foto: Anna Fischhaber)

"Auseinander und wieder zam", ruft Tanzleiter Magnus Kaindl in die Runde. Doch das Chaos im Erkerzimmer mit der schönen Deckenbemalung ist kaum zu bändigen. Die Angebote sind rar, erzählen die zahllosen Besucher. Dabei kann selbst die versammelte Trachtenpracht nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Sachen bayerischer Volkstanz in München noch erheblicher Nachholbedarf besteht.

"Beim Kocherlball am 20. Juli sieht man dann wieder, wie wenig die Leute von traditionellen Tänzen wissen", sagt Eva Becher, zuständig für Volkskultur beim Münchner Kulturreferat. Als Entschuldigung höre sie dann meist: "Ich würde es ja gerne lernen, aber ich weiß nicht wo." Künftig soll diese Ausrede nicht mehr gelten - das Kulturreferat veranstaltet in diesem Jahr erstmals kostenlose Vorbereitungskurse. Am Donnerstagabend ist es wieder soweit.

Vor allem die Münchner Damenwelt scheint auf eine solche Gelegenheit gewartet zu haben. Der akute Männermangel stört kaum. Zwar sind Christel und Kathrin trotz Dirndl auf den ersten Blick ein eher seltsames Paar - Christel ist mindestens 70, Kathrin hat gerade mit dem Studium angefangen - dennoch versteht man sich auf der Tanzfläche bestens. Kathrins Begleitung hat im letzten Moment abgesagt. "Wir haben nur vier Jungs im Kurs, und die mussten plötzlich alle schrecklich viel lernen", erzählt sie. Dennoch haben sie und ihre Freundinnen sich den Spaß nicht nehmen lassen. "Wir mögen das bayerische Flair." Der Kocherlball sei eine gute Alternative zur Wiesn - nur stillvoller.

Neues bayerisches Selbstbewusstsein

Nach einer halben Stunde machen nur wenige Paare eine so gute Figur beim Dreher wie Sabine Zinth und Karl Kobell - nicht nur weil Kobells Trachtenhut im Rhythmus hüpft. Dabei haben sich die beiden gerade erst kennen gelernt. "Ich habe mich in einen Blasmusiker verliebt. Und jetzt will ich mit ihm zum Kocherlball", erklärt Zinth, 40, die eigentlich aus Stuttgart kommt, ihren Ehrgeiz. Auch der gebürtige Münchner Kobell ist mit einer Musikerin verheiratet. Mit den Volkstänzen ist er schon seit Kindesbeinen vertraut. Und während seine Frau zu Hause probt, geht der Rentner im Hofbräuhaus einmal mehr seiner Leidenschaft nach - dem Tanzen.

"Man braucht kaum Talent"

Nicht nur beim Tanzkurs im Hofbräuhaus, auch auf dem Kocherlball selbst, treffen sich Menschen, die den Rest des Jahres kaum zusammenkommen - unter die Trachtenvereinsmitglieder mischen sich inzwischen immer mehr junge Nachtschwärmer, die direkt aus dem Club in den Englischen Garten pilgern. Tausende treffen sich jeden dritten Sonntag im Juli in der frühen Morgendämmerung am Chinesischen Turm.

Ende des 19. Jahrhunderts war das Frühschoppen der besonderen Art ein Ball für die Dienstboten. Als Hommage an die alten Zeiten tragen viele Besucher historische Trachten - vorwiegend das ältere Publikum. Aber auch das jüngere Partyvolk zelebriert heute in Dirndl und Lederhosen ein neues bayerisches Selbstbewusstsein. "Nach der ganzen Welt, ist jetzt auch die eigene Kultur wieder interessant", hat Becher beobachtet.

"Sogar die Russen wollen jetzt bayerische Tänze lernen"

Beim Tanzen braucht der ein oder andere allerdings noch Nachhilfe. "Dabei ist das gar nicht so schwer", behauptet Tanzleiter Kaindl, der hauptberuflich Archäologie studiert. "Man braucht kaum Talent, nur ein bisschen Rhythmusgefühl." In 90 Minuten zeigt er nicht bloß einen, sondern gleich fünf Volkstänze - vom Dreher über den Boarischen bis zur Schönen Marie. "Mit fünf Tänzen kann man am Kocherlball locker mithalten", sagt Kaindl. Blamieren könne man sich dort sowieso nicht. "Da ist es so voll, da fällt man nicht um und nicht auf." Und weil die Schrittfolge mit der passenden Melodie leichter zu merken ist, tönt bald der Refrain "Oh wie schön bist Du Marie, vom Kopf bis zu den Knie" durch den Saal.

Maria und ihre Mutter Evelina singen aus vollen Halse mit und wirbeln fröhlich über das Parkett - auch wenn sie die Frage der Führung an diesem Abend nicht abschließend klären können. "Sie kann es, ich kann es, aber zusammen können wir es nicht", erklärt Maria und zeigt auf ihre schmerzenden Füße. Dennoch geben Mutter und Tochter nicht auf. Schließlich wollen sie nicht nur auf den Kocherlball, sondern brauchen die "Schöne Marie" auch beruflich: Die Ukrainerinnen führen russische Touristen durch die Stadt - und nicht nur bei den Münchnern ist die eigene Kultur wieder en vogue. "Sogar die Russen wollen jetzt bayerische Tänze lernen."

Weitere kostenlose Tanzkurse finden immer donnerstags, 3. Juli, 10. Juli und 17. Juli, jeweils um 19 Uhr, im Erkerzimmer im zweiten Stock des Hofbräuhauses statt. Wegen des großen Andrangs hat das Kulturreferat den kleineren Nebenraum dazu bekommen. Kommen kann jeder, ob blutiger Anfänger oder Profi. Der Kocherlball selbst ist am Sonntag, 20. Juli, ab sechs Uhr früh, am Chinesischen Turm, bei schlechtem Wetter am 27. Juli.

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