Bei der zehnten Ausgabe des Internationalen Tanzfestivals „Think Big!“ treffen erneut Künstler und Künstlerinnen aus aller Welt auf ihr junges Publikum. Alle kleinen und großen Zuschauer haben in über 30 Veranstaltungen Gelegenheit, neue Ausdrucksformen und Formate kennenzulernen – und sich zum Staunen, Lachen, Mitwippen und Nachdenken animieren zu lassen. Die Performances sind in der Schauburg und der Muffathalle, im Schwere Reiter und HochX, in den Kammerspielen und unter freiem Himmel zu sehen. So unterschiedlich sie auch sind, gemeinsam ist ihnen die Erzählung über den Körper: Wer sich bewegt, braucht Platz, schafft sich Platz - oder muss auch mal den anderen Platz machen.
Allein im Geisterhaus

Fang Yun Lo verknüpft in ihrer einstündigen Performance Unsolved ihre Familiengeschichte in Taiwan mit existenziellen Fragen: Was ist Heimat? Wie entsteht ein Zuhause? Wie geht eine junge Generation mit den vererbten Konflikten um, die die Eltern nicht lösen konnten? Dabei bewegt sich der taiwanesische Hip-Hop-Tänzer Chih Wen Chung durch ein verlassenes Familienhaus – ein Geisterhaus, eine staubige Projektionsfläche für Bilder von Geborgenheit, Jugend, Familie und Konflikten, von historischen Ereignissen und unbeantworteten Fragen. Dazu erschafft die Videodesignerin Hanna Linn Ernst Illusionen, atmosphärisch verdichtet durch die Musik von Patrik Zosso.
Vielleicht lässt sich die Welt doch besser (er)tragen, wenn man nicht alleine ist? Davon erzählt das Ensemble De Dansers aus Utrecht in seinem Tanzkonzert Hush: eine Hand auf der Schulter; eine zweite Stimme, die da ist, wohin man auch geht; ein Rhythmus, in den man sich wie in eine Umarmung schmiegt – so könnte es funktionieren.
Unsolved, ab 14 J., Freitag, 5. Juli, 11 Uhr, und Samstag, 6. Juli, 19.30 Uhr, Kammerspiele, Werkraum; Hush, ab 14 J., Mittwoch, 10. Juli, 10 Uhr, Donnerstag, 11. Juli, 19 Uhr, Schwere Reiter
Jugend in Uniform

Einen eigenen Weg, eine eigene Haltung finden, dabei aber nicht allein sein: Das ist ein schwieriger Balanceakt zwischen zwei gegensätzlichen Bedürfnissen, vor dem alle Heranwachsenden stehen. Aber was passiert mit Jugendlichen, wenn sie sich einer Gruppe verschreiben? Und wie schlägt sich die Sehnsucht nach Gemeinschaft in Uniformen und Ritualen nieder? Die in Tel Aviv geborene, in Köln lebende Choreografin und Tänzerin Reut Shemesh kennt das Gefühl, eine Uniform zu tragen, aus ihrer eigenen Zeit beim Militär in Israel. Mit fünf Performern und Performerinnen hat sie mit jungen Menschen in Dresden, München, Hamburg und Potsdam gearbeitet. Entstanden ist das Tanzstück Esther, das Jugendliche auf der Suche nach einem Gleichgewicht zwischen Konformität und Individualität zeigt.
Esther, ab 13 J., Freitag, 12. Juli, 11 Uhr und Samstag, 13. Juli, 19.30 Uhr, Kammerspiele, Schauspielhaus
Akrobaten im Kreisel

Jeder Ausgang ist immer auch ein Eingang: Das beweisen die vier virtuosen Akrobaten der belgischen Gruppe Circumstances in Exit in einem atemberaubenden Manöver zwischen drehbaren Wänden und schwingenden Türen. Der Choreograf Piet Van Dycke erzählt mit seinen Protagonisten vom Spiel mit der Kraft und den Kräften, vom Streben nach Unabhängigkeit und Individualität, vom Zueinanderfinden und der Erkenntnis, dass Sackgassen meistens nur im Kopf existieren. „Bei der Akrobatik geht es nicht darum, etwas zu erreichen, sondern das Unmögliche herauszufordern. Das Ausloten der Grenzen von Balance, Schwerkraft, Zeit und Ausdauer erzeugt dabei einen einzigartigen Tanz“, lautet die Überzeugung des künstlerischen Leiters Van Dycke.
Exit, ab 8 J., Freitag, 5. Juli, 10 und 18 Uhr, Samstag, 6. Juli, 16 Uhr, Schauburg am Elisabethplatz
Unter freiem Himmel

Endlich mal Ordnung schaffen: Müll muss entsorgt, Grünanlagen gepflegt, Spielgeräte gewartet und Gefahrenstellen beseitigt werden. Das Bonner Theater Marabu kommt als Einsatztrupp auf den Elisabethmarkt, die mobile Truppe erledigt alles mit Hingabe, spielt dabei gern auch Blasmusik oder trällert ein Liedchen. Doch gerade als man einpacken will, steht da plötzlich ein mysteriöser Gegenstand. Wie kommt der dahin? Wem gehört der und was ist da drin? Das Einsatzteam fährt alles auf, um eine drohende Katastrophe abzuwenden, aber schon der Titel Master of Desaster lässt Arges befürchten.
Auch Out of the Box von der niederländischen Company The 100Hands spielt auf dem Elisabethmarkt: Hier teilt sich eine Gruppe von Menschen einen begrenzten Raum, eine große Kiste. Ist sie nun Gehege, Gefängnis, Schutzraum oder Spielplatz? Oder doch nur eine Schachtel im Kopf?

Was kann Techno? Für die in Argentinien geborene, in Frankfurt arbeitende Choreografin Paula Rosolen und ihre Company Haptic Hide steht die Antwort fest. Sie nutzt den Raum unter dem offenen Himmel, um mit Beat by Bits auf dem Marienplatz mitten in München die Menschen im Spirit des Techno zusammenzubringen. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein.
Master of Desaster, ab 6 J., Sonntag, 7. Juli, 14 und 16 Uhr, Montag, 8. Juli, 9 und 11 Uhr; Out of the Box, ab 6 J., Freitag, 12. Juli, 10 Uhr, Samstag, 13. Juli, 11 und 16 Uhr, Elisabethplatz; Beat by Bits, Donnerstag, 11. Juli, 17.30 Uhr, Marienplatz
Für die Jüngsten

Die Welt ist das, was man aus ihr macht – das weiß doch jedes Kind: Der Hocker ist ein Floß, eine Brücke, ein Haus, ein Turm, eben, wie es einem gerade gefällt. Ähnlich wie ihre kleinen Zuschauer erfinden auch Ceren Oran & Moving Borders beim Spiel im Spiel die Welt immer wieder aufs Neue: Wer gerade ein Hut war, wird zur Insel im stürmischen Meer. Wo gerade der Boden unberührbar war, robbt jetzt ein großer Wurm über die Bühne.

Als Verwandlungskünstler präsentieren sich auch der japanische Tänzer Takeshi Matsumoto und seine Kollegin Makiko Aoyama. Sie zeigen im Club Origami ihren Gästen, wie man ein Blatt Papier so faltet, dass es sich in ein Tier oder ein anderes Wesen verwandelt. Und dann erzählen sie ganz ohne Worte eine Geschichte, von der sie bis zur Vorstellung auch nicht viel wussten. Denn es sind die kleinen Kunstwerke ihrer Zuschauer, die sie inspirieren: Schmetterlinge, Pinguine, ein Hut, ein Fächer oder auch ein Flugzeug. Robert Howat macht auf dem Xylosynth die Musik dazu – die Fantasie beginnt zu tanzen.
Auch die aus Israel stammende Choreografin Rotem Weissman experimentiert mit der Vorstellungskraft ihrer kleinen Zuschauer. In Prisma taucht ein wuscheliges Wesen auf, von dem man nicht genau sagen kann, wo oben und unten ist, ob es eher Pflanze oder Tier oder irgendetwas dazwischen sein will. Jeder und jede im Publikum wird hier etwas anderes entdecken – und alle haben recht. Wie so vieles ist es eben eine Frage der Perspektive.
Spiel im Spiel, ab 3 J., Sonntag, 7. Juli, 16 Uhr, Montag, 8. Juli, 10 Uhr; Club Origami, 0–6 J., Donnerstag, 4. Juli, 10 und 15 Uhr, Freitag, 5. Juli, 10 und 15 Uhr, alle HochX; Prisma, ab 5 J., Freitag, 5. Juli, 16.15 Uhr Stadion der Träume, Mittwoch, 10. Juli, 17 Uhr, Schwere Reiter
Mittanzen und Mitdiskutieren
Wie kannst du dich mit deinem Körper in Bewegung ohne Worte ausdrücken? Welches Gefühl empfindest du gerade am stärksten? Kannst du sagen, in welchem Teil des Körpers? Und was passiert, wenn du in Bewegung bist? Diese und andere Fragen können Jugendliche in dem dynamischen Workshop Dance with Zinada zusammen mit den beiden südkoreanischen Chorographen Jin Lee und Jihun Choi des Künstlerkollektivs Zinada erforschen.
Das bundesweite Netzwerk „explore dance – Netzwerk Tanz für junges Publikum“, das seit 2018 den Zugang von Kindern und Jugendlichen in ganz Deutschland zum zeitgenössischen Tanz fördert, lädt am 8. Juli zu einer kulturpolitischen Diskussion ins Muffatwerk: Erhard Grundl von Bündnis 90/Die Grünen, Kerstin Evert, Mitbegründerin des Netzwerks explore dance, und Franz Krämer vom Lehrstuhl für Pädagogik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg sprechen über die Potenziale kultureller Bildung für die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen. Dabei kommt auch die ungewisse Zukunft von explore dance zur Sprache: Derzeit ist das Weiterbestehen nur für das Jahr 2024 mit einer Bundesförderung gesichert.
Dance with Zinada, 10–14 J., Dienstag, 9. Juli, 16 Uhr, Fat Cat, T29 black space, freier Eintritt, Anmeldung unter info@fokustanz.de; Diskussion: Potenziale kultureller Bildung in Theorie und Praxis, Montag, 8. Juli, 17–18 Uhr, Muffatwerk