Tanz:Schneekugel-Blues

Tanz: Posieren fürs Familienporträt: Immer dabei - die Schneekugel.

Posieren fürs Familienporträt: Immer dabei - die Schneekugel.

(Foto: Wilfried Hösl)

"Der Schneesturm", jetzt live mit dem Bayerischen Staatsballett

Von Eva-Elisabeth Fischer

Das Ende kommt abrupt nach einem sehr kurzen zweiten Teil. Was bei der Online-Premiere nicht ins Gewicht fiel, irritiert nun live auf der großen Bühne des Nationaltheater. Deshalb steigerte sich der zunächst schüttere Schlussapplaus erst, als Dirigent Gavin Sutherland sich verbeugte. Die Rede ist von Andrey Kaydanovskiys erstem Handlungsballett fürs Bayerische Staatsballett "Der Schneesturm" nach der Erzählung von Alexander Puschkin. Dabei geht es um eine ziemlich merkwürdige Liebesgeschichte, wobei der Falsche am Ende doch der Richtige ist. Marja (Ksenia Ryzhova), Tochter aus besserem Hause, will also

ihren armen Geliebten Vladmir (Jonah Cook) heiraten und trägt - nomen est omen - stets eine Schneekugel mit sich. Ein Schneesturm ist es, der den schönen Plan torpediert. Marja ehelicht aus Versehen den zufällig anwesenden Burmin (Jinhao Zhang), in den sie sich später verliebt. An ihren Ringen erkennen die offenbar füreinander Bestimmten, dass sie ja bereits verheiratet sind: Happy End.

Hier nun aber liegt der Hase im Pfeffer. Denn anders als das alles entscheidende Briefmotiv in Crankos heiß geliebtem Puschkin-Ballett "Onegin" taugt das Ringmotiv im "Schneesturm" eher zur Verwirrung denn zur Klärung: Warum der tragikomische Belkin (Osiel Gouneo) seinen Freund Brumin von dessen Ehering befreien will, das kapiert man wirklich erst ganz zum Schluss - es sei denn, man hat vorher Puschkins Erzählung gelesen.

Hauschoreograf Kaydanovskiy also scheitert an entscheidender Stelle bei dem Versuch, einen literarisch bereits komplexen Zusammenhang in ein wirklich tanztaugliches Bild zu übersetzen. Dabei ist sein Ansatz, aller üppigen, bis heute üblichen 19. Jahrhundert-Abendfüller-Pracht die Reduktion und die Abstraktion entgegenzusetzen, durchaus gelungen. Er liefert ein großbürgerliches Familienporträt - Marja hat mit Eltern samt Dienstboten für ein solches immer wieder zu posieren, bis es endgültig durcheinander gerät. Und Kaydanovskiy demonstriert daran, wie überkommene Gesellschaftsstrukturen, vor allem kriegsbedingt zermürbte, untergehen.

Marjas Familie wirkt in Karoline Hogls Leuchtgasstäbe-Hausskelett reichlich unbehaust. Da fegt der Schneesturm, endlich freigelassen, ungehindert durch. Aber auch reinigend? Vater, Mutter, Kind, die Dienstboten, die drei graugewandeten Freier Marjas ergehen sich, mit buntem Chiffon umweht, im Lichtgerippe ihrer obsoleten Konventionen in komplexen, artifiziellen Totentänzen. Man folgt ihnen gespannt. Aber die großen Gefühlswallungen ereignen sich im Orchestergraben.

Lorenz Dangel, nicht umsonst auch als Filmkomponist erfolgreich, legt den Teppich aus für all die emotionalen wie auch gesellschaftlichen Turbulenzen, die Andrey Kaydanovskiys mit seinem intellektuellen, dabei aber auch ein wenig blutleeren Kammerspiel kontert. Dafür gäbe es einen besseren Ort, der diesem - ohne Pause - zu mehr Wirkung verhülfe: das Prinzregententheater.

Wieder am 31. Mai. sowie 2., 5., 8. und 18. Juni

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