„Schutzhaft“, „Rassenhygiene“, „Herrenmensch“: Paola Evelina liest auf der Bühne des Schwere Reiter Nazi-Begriffe vor. Man erkennt sofort ihren Ursprung – und die Perfidie ihrer Konstruktion. Eine Hälfte des Wortes weckt positive Assoziationen und verschleiert, worauf das Ganze hinauswill: auf Ausgrenzung, Separation des „Anderen“ und Unerwünschten. Und letztlich auf dessen Vernichtung.
In ihrem gemeinsamen Kunstprojekt „Stains“ geht es der italienischen Architektin und Fotografin und der Münchner Tänzerin Rosalie Wanka vor allem um „Worte aus Stein“, wie Hitler die Bauten nannte, die seine menschenverachtende Ideologie für die Ewigkeit bewahren sollten. Der Abend ist eine Mischung aus Installation und Lecture Performance und fußt auf der Frage, wie sich die Erinnerung an das Grauen der Vergangenheit in die Zukunft retten lässt, wenn die Zeitzeugen allmählich aussterben.
Sein Haupt-Material sind Stop-Motion-Filme, die Wankas Körper im Stadtraum zeigen. Meist von Kopf bis Fuß in einem Schlauchkleid steckend, wirkt er wie ein Schreibgerät, das je nach Farbe des Schlauches weiße oder Schand-Flecken an Gebäuden markiert. In Pink wirkt der tanzende Schlauch wie ein Alarmsignal, zwischen den Stelen des Berliner Holocaust-Mahnmals schimmert er silbern. Und dem faschistischen Größenwahn des Campo Sportivo im italienischen Tresigallo begegnet Wanka nur im Body.
Im performativen ersten Teil von „Stains“ wird zusätzlich historisches Filmmaterial gezeigt, live getanzt und erläutert, wie sich die Struktur und Idee von Städten und Körpern seit dem Mittelalter parallel zueinander verändert haben. Anschließend zeigen die beiden weitere Aufnahmen und kommentieren den Stand ihrer Recherchen.
„Stains“ ist keine Retrospektive, sondern dokumentiert den Zwischenstand eines Prozesses, der von Fragen nach dem „richtigen“ Umgang mit den steinernen Zeugen des Faschismus befeuert und weiterhin am Laufen gehalten wird. Mussolinis Geburtsort Predappio ist noch heute ein Pilgerort für seine Anhänger. In der verlassenen Architektur der Kleinstadt Tresigallo, die heute für den Tourismus wiederbelebt werden soll, haben die Dreißigerjahre wie in einer Zeitkapsel überdauert. In Linz erinnern Schilder etwa an der Kunstuniversität an die Zwangsarbeiter, die für den Bau starben. Andere NS-Gebäude wurden abgerissen und ohne Hinweise durch neue ersetzt, und auch München hat noch keine vollkommen zufriedenstellende Form der Kontextualisierung gefunden.
Ein Filmausschnitt zeigt Wanka tanzend vor dem Haus der Kunst. Live erzählt sie, dass sie kurz davor eine Performance in dem Gebäude hatte und dessen Geist als extrem erdrückend empfand. Es anfassen, sich daran stoßen und buchstäblich abarbeiten zu können, hält sie dagegen für ein Privileg. Der Verantwortung gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus ist sie sich bewusst. „Stains“ als ganzes ist vor allem eine Einladung an seine Gäste, Fragen zu stellen und über die Möglichkeiten und Grenzen dieses Unterfangens ins Gespräch zu kommen. Denn nur Fragen halten Erinnerungen lebendig.
„Stains“, Samstag, 21. September, 20 Uhr, Schwere Reiter, die Installation im Foyer ist bereits eine Stunde vor der Performance geöffnet