Süddeutsche Zeitung

Rockmusik:Weg aus der Wüste

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Freiheitskampf mit Gitarren: Die junge Tuareg-Band Tamikrest gastiert in der Muffathalle.

Von Jonathan Fischer

Tuareg gelten im Westen als sagenumwobene Gestalten. Nomaden, die mit der Kalaschnikow in der einen, der Gitarre in der anderen Hand durch die Sahara ziehen. Blaugewandete Rebellen. Wüstenkrieger.

Und wie immer hat das Klischee einen wahren Kern: Tatsächlich kämpfen die über mehrere Sahara-Anrainer verstreuten Tuareg seit mehr als einem halben Jahrhundert für größere Autonomie. Zuletzt endete das im Jahre 2012 bei der Ausrufung des eigenen Staates Azawad im Norden Malis in einer politischen und ökonomischen Katastrophe. Dschihadisten kaperten die Revolte für sich. Und als die Franzosen diese ein Jahr später aus den großen Städten des Nordens vertrieben, waren die großen Verlierer: die Tuareg. Seit Langem ausgegrenzt, wurden sie nun erst recht dämonisiert. Viele von ihnen leben in Flüchtlingscamps, bedroht einerseits von Dschihadisten, andererseits von Racheakten der malischen Armee.

Seit ihrer Flucht aus Mali touren sie zwischen Tokio, London, Algier und München

Auch Tamikrest, die Rock-Superstars der Tuareg-Jugend, mussten damals fliehen. Aus ihrer nordmalischen Heimatstadt Kidal in die algerische Wüste, wo sie nicht mal Strom hatten. "Wir haben unsere heimische Existenzgrundlage verloren", klagt Tamikrest-Frontmann Ousmane Ag Mossa. "Es gibt keinen Tourismus mehr, keine Bühnen wie das einstige Festival au Desert in Timbuktu, wo wir vor vielen tausend Besuchern spielten". Dort, in einem Festivalzelt zwischen den Dünen von Essakane, waren Tamikrest 2008 auf den amerikanischen Folkrock-Musiker Chris Eckman gestoßen. Nachdem sie sich zwei Tage lang gegenseitig ihre Songs vorgespielt hatten, heuerte der Amerikaner die jungen Tuareg für ein Album seiner eigenen Band Dirtmusic an. Und produzierte in Bamako Tamikrests Debüt "Adagh". Das war im Jahre 2010. Seitdem touren sie zwischen Tokio, London, Algier und München. Und machen ihrem Namen alle Ehre. Denn Tamikrest bedeutet soviel wie Knotenpunkt oder Verknüpfung.

Wie so viele junge Musiker folgten Ousmane Ag Mossa und seine Mitstreiter dem Vorbild der Pionierband Tinariwen. "Früher", sagt Mossa, " waren bestimmte Instrumente nur bestimmten Musiker-Kasten erlaubt. Tinariwen brachten die von solchen Tabus unbelasteten E-Gitarren ins Spiel." Auf der anderen Seite sogen die jungen Touareg das Echo westlicher Rock-Acts wie Dire Straits, Jimi Hendrix, Pink Floyd oder auch Bob Marleys Reggae-Botschaften auf - und improvisierten etwas ganz Eigenes daraus. "Als ich 2006 unsere Band gründete", sagt Mossa, " gab es in Kidal im Norden Malis kaum Gitarrensaiten. Wir nahmen deswegen auch die Bremszüge von Fahrrädern her. Die Verstärker bauten wir uns aus alten Transistor-Radios zusammen."

Bass, drei Gitarren, Schlagzeug, traditionelle Tuareg-Perkussion wie die Kalabash-Trommel: Das ist die Grundlage des trockenen, hypnotisierenden Sounds von Tamikrest, dessen Rhythmen auf der Musik der Tuareg-Frauen basiert. Man hört das an den Handklatschern, den Freudentrillern, den sich wiegenden Gesängen. Dabei reiten Mossa und Kollegen bisweilen tief in Bluesrock-Gefilde, flechten Dub- und Jazz-Einflüsse ein. Wie offen ihre Musik ist, beweist ihr jüngstes Album "Tamotait": Dort lassen sich die Tuareg unter anderem von japanischen Kollegen mit dem Saiten-Instrument Tonkori und der dreisaitigen Langhalslaute Shamisen begleiten. Was in Mali verloren ging, das haben die Musiker von Tamikrest in der ganzen Welt wiedergefunden. Ihr Kampf aber geht weiter: "Unsere Songs", sagt Mossa, "rufen zur Rebellion gegen alle auf, die unsere Kultur unterdrücken. Wir hoffen darauf, irgendwann einmal selbst über unsere Zukunft entscheiden zu können. Dafür kämpfen wir - nicht mit Waffen, sondern mit Gitarren und Mikrophon".

Tamikrest, Montag, 13. Dez., 20 Uhr, Muffathalle (bestuhlt in Mindestabstand; 2 G plus), Zellstr. 4, muffatwerk.de

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