Tagung und Theater:Eine Pflanze kann nicht husten

Tagung und Theater: Fachleute für Schwieriges: Peter Radtke, Jonas Zipf und Max Dorner vom Kulturreferat (v.l.) kämpfen dafür, dass Anderssein am Theater Platz hat.

Fachleute für Schwieriges: Peter Radtke, Jonas Zipf und Max Dorner vom Kulturreferat (v.l.) kämpfen dafür, dass Anderssein am Theater Platz hat.

(Foto: Elisabeth Greil)

Das Symposium "Du musst dein Leben ändern" in den Kammerspielen über das Dilemma zwischen Behinderung und Optimierung

Von Christiane Lutz

Es ist die Pflanze, die sich als Metapher anbietet für das Dilemma des Lebens. Sei es die "Büropflanze", zu der sich, so der Journalist Jens Jessen, jeder in der modernen Gesellschaft zu entwickeln habe: bedürfnislos, stets funktionierend. Der ideale Angestellte. Eine Pflanze ist es auch, die Maria-Cristina Hallwachs als Bild für ihr Leben verwendet: ein unbewegliches Wesen, darauf angewiesen, dass alles, was es braucht, zu ihr kommt. Hallwachs sitzt im Rollstuhl, vom Hals abwärts gelähmt.

"Du musst dein Leben ändern?" hieß ein "Symposium zur Optimierung im Zeitalter der Machbarkeit" in den Kammerspielen. Veranstaltet vom Kulturreferat im Rahmen von "Was geht?", jener Reihe zu Kunst und Inklusion, die derzeit in ganz München läuft. Gesäumt von Lesungen, Konzerten und künstlerischen Interventionen hatte sich das Referat viel vorgenommen. Die Vorträge und Debatten reichten von Social Freezing (also dem Einfrieren von Eizellen für eine spätere Schwangerschaft) über Sterbehilfe bis zur Frage, wie man die Technisierung von Körper und Gesellschaft anthropologisch einordnen könnte. Themen, die sich ergeben, denkt man über das Leben mit Behinderung nach. Denn durch zunehmenden Optimierungswahn werde der Platz für das Anderssein in der Gesellschaft immer kleiner.

Eltern können sich heute schon früh ein Bild von eventuellen Behinderungen eines Fötus machen und, falls gewollt, abtreiben. Sie können darüber verfügen, wie lang ein schwerbehindertes Kind (über)leben, wann es sterben soll. Menschen, die aus medizinischen Gründen technische Hilfsmittel an ihre Körper gebaut haben, werden im Sport als "Superhumans" gefeiert oder des Dopings bezichtigt, wenn sie - wie der einstige Läufer Oscar Pistorius - zu gute Ergebnisse erzielen. Sagt die Medien- und Kulturwissenschaftlerin Karin Harrasser, deren Vortrag, wie alles an dem Wochenende, durch blitzschnelle Gebärdendolmetscher übersetzt wurde.

Viele Themen, die früher durch eine Instanz reglementiert wurden, müsse der einzelne heute für sich entscheiden, so der Kulturwissenschaftler Andreas Bernard. Das sei zwar ein Zugewinn an persönlicher Freiheit, doch seien die Menschen mit der Verantwortung überfordert. Eine Schwangerschaft etwa ist heute vor allem ein Risiko. Welche Frau nicht alles wahrnimmt, was ihr an Vorsorge und Ratschlägen zur Verfügung steht, gerät sie schnell in den Verdacht, fahrlässig zu handeln.

Immer wieder tauchte die Frage auf, wieso der Mensch so viel Energie darauf verwende, sich für ein kapitalistisches, ihn ausbeutendes System zu optimieren, statt mit derselben Energie das System neu zu denken und neue Bedingungen für ein besseres Leben zu schaffen. So universell diese Frage ist, so konkret lässt sie sich auf das Thema Inklusion herunter brechen. Wieso sollte der behinderte Mensch sich möglichst unauffällig in die Gesellschaft einfügen, statt zu fordern, dass sich die Gesellschaft seinen Bedürfnissen anpasse?

Das gilt auch fürs Theater. Zum Thema "Das Theater mit der Behinderung" waren Gisela Höhne zu Gast, Leiterin des Berliner Inklusions-Theaters "Rambazamba", der Schauspieler Peter Radtke, der selbst im Rollstuhl sitzt, und Jonas Zipf, der am Staatstheater Darmstadt mitverantwortlich für die Verpflichtung zweier behinderter Schauspieler war. Recht einig waren sich die drei, dass das Theater zwar Vorreiter in Sachen Inklusion sei und sein solle, jedoch bei weitem keine Normalität herrsche, "sonst säßen wir heute ja nicht hier". Radtke, der in den Kammerspielen 1986 Kafkas "Bericht für eine Akademie" spielte, berichtet, wie er am liebsten in Abo-Vorstellungen auftrat, "da haben sich die Zuschauer so schön erschrocken." Er bemängelt, dass das Interesse an inklusivem Theater zu oft noch durch eigene Betroffenheit bedingt sei oder der Zuschauer sofort unter "Gutmenschenverdacht" falle. Zipf erzählte, wie wichtig es ihm auch deshalb gewesen sei, die Schauspieler Jana Zöll und Samuel Koch in den regulären Spielplan mit aufzunehmen und nicht durch ein paar gekennzeichnete Inklusionsprojekte in ein Spezialprogramm zu stecken.

Nicht zur Sprache, ob man behinderte Schauspieler nach den selben Kriterien beurteilen solle wie nichtbehinderte Schauspieler? Und: Müsste man als Zuschauer in seiner Kritik nicht zwischen Künstlern mit geistiger Behinderung, wie den Schauspielern mit Down-Syndrom vom Theater Rambazamba, und denen mit körperlicher Behinderung wie Koch und Zöll in Darmstadt unterscheiden? Dafür fehlte, wie leider für vieles an dem allzu prall gefüllten Wochenende, die Zeit.

Wie Inklusionstheater auch gehen kann, zeigte "Qualitätskontrolle" von Rimini Protokoll, jener Theatergruppe, die sich stets am echten Leben bedient. Spielerisch und bewegend inszenieren sie die Überlebensgeschichte der Stuttgarterin Maria-Cristina Hallwachs, vom Kopf abwärts gelähmt. In der Hauptrolle: sie selbst. Eine junge Frau bricht sich beim Sprung in einen Pool das Genick - und überlebt. Seither hängt ihr Leben an anderen Menschen und einem Beatmungsapparat. Aber erzählen kann sie. Und tut es, knapp zwei Stunden lang, über ihr Leben, ihren Unfall, ihre Liebe zu Depeche Mode. Immer dabei ist Pflegerin Timmy, als Spielpartnerin; und zum Schleimabsaugen. Denn auch husten kann Hallwachs nicht. Dennoch: Sie würde sich immer fürs Leben entscheiden. "Ich finde, dass man sich etwas nicht vorstellen kann, ist kein Argument für oder gegen etwas."

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