Tag der Deutschen Einheit in München:Bitte recht freundlich

Das können die Bayern so gut wie kaum jemand sonst: Hohe Räume herausputzen und die schönsten Kulissen liefern. Hunderttausende Bürger feiern in München die deutsche Einheit. Der Freistaat präsentiert sich dabei mit Folklore - und mit prallem Selbstbewusstsein.

Joachim Käppner und Christian Krügel

Zu Beginn der Ode "An die Freude" heißt es: "Oh Freunde, nicht diese Töne; sondern lasst uns angenehmere anstimmen, und freudenvollere!" Als der Sänger im Nationaltheater das intonierte, da schien er das Motto dieses Tages vorzugeben, Harmonie, Sonne und Wohlklang schöner Reden vor geladenen Gästen, darunter der geballten Politprominenz.

Trachtenaufzug, Volkstanz, weißblauer Himmel: Bayern hat sich am Einheitsfeiertag mit allem präsentiert, was zur Landesfolklore gehört, vom laufenden Oktoberfest ganz zu schweigen. Vor der Michaelskirche bildeten Gebirgsschützen ein Spalier. Wer wollte, konnte in der kühlen Barockpracht ein Sinnbild entdecken für Hader und Hass, der lange vor 1945 die Deutschen trennte.

Sankt Michael war ein Bollwerk der Gegenreformation, Stein und Stuck gewordene Unversöhnlichkeit. Im Nationaltheater sang der in Lederhosen und Dirndl gesteckte Kinderchor des Hauses herzerwärmend "Am Brunnen vor dem Tore", als schriebe man nicht das Jahr 2012, sondern, sagen wir, 1912.

Der Gastgeber, Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), vermittelte den Eindruck eines Mannes, der im Kreise der Lieben zu feiern versteht, jedoch niemals die Weisheit vergisst: Dienst ist Dienst, Schnaps ist Schnaps. Die weniger freudenvollen dienstlichen Töne waren schon am Dienstag erklungen, als er im Bayerischen Fernsehen mit dem grünen Kollegen Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg diskutierte, das im November von Bayern den Vorsitz des Bundesrates übernimmt.

Erneut drohte Seehofer den armen Schluckern unter den Ländern - die ostdeutschen, die er anderntags so herzlich willkommen hieß, gehören dazu -, der Freistaat sei zur Klage in Karlsruhe gegen den Länderfinanzausgleich entschlossen.

Bei einem Volksfest am Sonntag in Tuntenhausen hatte er das etwas bayerisch-brachialer formuliert: "Wir sind solidarisch, aber nicht blöd", es sei nicht Aufgabe des Freistaats, "die Faulen und Unwilligen" zu alimentieren. Bayern und Baden-Württemberg sind die größten Nettozahler im Länderfinanzausgleich, sie stehen, so Seehofer, also "Schulter an Schulter". Kretschmann will sich aber eine Klage höchstens als "letztes Mittel" vorbehalten; gäbe er an Seehofers Seite den geizigen Neureichen aus Stuttgart, würde er im Vorwahljahr das rot-grüne Lager verprellen.

Lob für Lammert

Am Mittwoch war vom Finanzausgleich dann nichts mehr zu hören, sehr wohl aber von einem anderen Thema, das die CSU zuletzt hoch gehängt hat: der Euro-Krise. Auch hier geht es ja um Solidarität und Grenzen der Geduld, um Schwache und Starke. Wiederholt hatte Seehofer für die deutsche Haftung bei den Rettungsschirmen eine klare Obergrenze verlangt; zudem ließ er seine Hintersassen wie CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt gewähren, wenn sie den Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone forderten.

Insofern mag Seehofer nicht alle Einlassungen dieses Tages mit gleicher Freude angehört haben. Der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm mahnte in seiner Predigt zur Demut - "einer Tugend, die sich gerade dann bewährt, wenn es dem einen besser geht als anderen". Jesus habe "in der Bergpredigt nicht gesagt: Ihr seid die Besten, Ihr seid die Größten, Ihr seid die Effektivsten". Auch der katholische Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, mahnte, ohne Europa gäbe es "keine deutsche Einheit".

In seiner Festrede hielt Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) ein leidenschaftliches Plädoyer für Europa. Jede Abkehr von der Integration "wäre die mutlose und zugleich übermütige Wiederherstellung eines Zustandes, den dieser Kontinent mit dem Beginn des Baus der Gemeinschaft hinter sich lassen wollte". Die Einheit Deutschlands verpflichte geradezu zur Einheit Europas. Es sei nun die Aufgabe, diesem Europa eine "Seele zu geben".

Während des anschließenden Empfangs lobte Bundespräsident Joachim Gauck ausdrücklich die Rede von Lammert: "Mir gefällt besonders der Gedanke, dass die Neuvereinigung Deutschlands mit der Vereinigung Europas unmittelbar verbunden ist." Es werde die Zeit kommen, "da werden uns die West-Ost-Unterschiede weniger prägen als die ganz normale Verschiedenheit der Menschen. Das gilt auch für Europa, wo die Verschiedenheiten ungleich größer sind".

Bayern sei übrigens, sagte Lammert mit einer freundlichen Spitze gegen das pralle Selbstbewusstsein des Hausherrn und die Wiesn-Pläne zahlreicher Festgäste, das einzige Land, das zeitgleich zum Tag der Einheit jedes Jahr ein zweiwöchiges Volksfest feiere: "Anderswo wird morgen die Arbeit wieder aufgenommen, damit der Vorsprung von Bayern nicht ganz so groß wird."

Was bleibt noch von diesem 22. Tag der Deutschen Einheit? Der Eindruck eines ausgesprochen fröhlichen Festes mit 400.000 Besuchern. Fast konnte man glauben, die Leute draußen vor den Absperrbändern bildeten das, was sich die Redner drinnen wünschten: eine Nation, die wenigstens einen Tag lang froh ist mit sich und dem Geschenk ihrer Freiheit.

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