Täterermittlungen:Wenn Partybilder helfen, Tatverdächtige zu finden

Lesezeit: 4 min

Fahndung per Mausklick: Bernhard Egger ist der Leiter der Abteilung Cybercrime beim bayerischen Landeskriminalamt. (Foto: Florian Peljak)
  • Die Software für biometrische Gesichtserkennung arbeitet immer effizienter.
  • Die Münchner Polizei konnte in diesem Jahr bereits 78 zuvor unbekannte Tatverdächtige identifizieren. Vergangenes Jahr waren es insgesamt 95.
  • Bedenken wegen mangelnden Datenschutzes haben die Ermittler keine.

Von Thomas Schmidt

Bei der Fahndung nach Verbrechern setzt die Polizei immer stärker auf biometrische Gesichtserkennung. Die verwendete Software arbeitet von Jahr zu Jahr effizienter, und den Ermittlern steht immer mehr Bildmaterial zur Verfügung. Allein in den ersten Monaten 2018 haben Spezialisten des bayerischen Landeskriminalamts (LKA) 78 zuvor unbekannte Tatverdächtige durch diese Methode identifiziert. In fünf bis zehn Jahren, prophezeit Bernhard Egger, werde die Gesichtserkennung für die Polizeiarbeit so wichtig sein wie Fingerabdrücke oder DNA-Spuren. In den kommenden Monaten will der Leiter der Fahndungsabteilung Cybercrime nun eine weitere Datenbank aufbauen.

Die Technik ist komplex, das Prinzip simpel: Gelangt die Polizei an ein Foto oder ein Video, das einen unbekannten Tatverdächtigen zeigt, speist ein Beamter das Bild im Computer ein. Eine speziell hierfür entwickelte Software nutzt einen Algorithmus, um definierte persönliche Merkmale zu vermessen: den Abstand der Augen, die Länge der Nase, die Form der Wangenknochen, die Breite der Lippen und vieles mehr. Das Programm legt automatisch ein Raster mit Messpunkten auf das Gesicht des Verdächtigen und erstellt so eine individuelle Formel. Diese Formel wird anschließend mit einer Datenbank des Bundeskriminalamts abgeglichen, in der derzeit rund 5,2 Millionen Bilder von 3,5 Millionen Straftätern gespeichert sind, also von Kriminellen, die bereits erkennungsdienstlich erfasst wurden.

Kriminalistik
:Wie Morde nach langer Zeit noch aufgeklärt werden können

Etwa 30 Jahre nachdem eine Frau vergewaltigt und fast ermordet wurde, konnte die Polizei den Täter überführen - dank moderner Erbgutanalysen. Doch das Verfahren ist kompliziert.

Von Vinzent-Vitus Leitgeb

Laut Egger dauert es nur fünf Minuten, dann spuckt das System 200 Vorschläge aus: Bilder von bekannten Verbrechern, deren individuelle Formel zu jener des Verdächtigen passt. Diese Vorschläge muten häufig skurril an, denn für die Software spielen offensichtliche Unterschiede wie Geschlecht, Hautfarbe und Alter keine Rolle. Unterschiede, die jeder Mensch auf den ersten Blick erkennt, der Computer aber nicht sieht. Die Software hingegen wertet allein messbare und unveränderliche Merkmale wie den Augenabstand aus. Der Vorteil daran: Durch eine neue Haarfarbe, einen Bart oder gebräunte Haut lässt sich das System nicht überlisten.

Der Computer fällt keine Entscheidung, er präsentiert nur Vorschläge. Ein Experte des LKA vergleicht anschließend jedes der 200 Bilder mit dem seines unbekannten Verdächtigen. Ist der bereits registriert, "dann finden wir ihn auch", sagt Egger selbstsicher. Tatsächlich nimmt die Zahl der Treffer rasant zu. Die Kriminaler aus München nutzen die Methode seit Juni 2008. In diesem und im Folgejahr konnten sie damit gerade mal sieben Verbrecher identifizieren. 2011 waren es 37, im Jahr 2017 dann 95. Nun waren es Anfang Mai bereits 78. Tendenz steigend.

Dass die biometrische Gesichtserkennung für die Ermittler immer wichtiger wird, hat drei Gründe. Erstens: Die Software wird besser. Weniger Suchläufe führen zu mehr Treffern. Je zuverlässiger das System arbeitet, desto häufiger setzen es die Beamten auch ein.

Landtag
:CSU entschärft nach heftigen Protesten Polizeiaufgabengesetz

Der Opposition geht das allerdings nicht weit genug. Die Änderungen im Detail.

Von Lisa Schnell

Zweitens: Die Flut an Bildern schwillt stetig an. Die Videoüberwachung im öffentlichen Raum nimmt zu, immer mehr Opfer oder Zeugen fotografieren Täter mit ihrem Smartphone. Oder die Ermittler finden Fotos eines Tatverdächtigen auf sozialen Netzwerken wie Facebook oder Instagram. Das bedeute jedoch nicht, dass Fahnder auf gut Glück das Internet durchforsten, betont Egger. Er nennt ein praktisches Beispiel: Die Polizei erwischt einen Drogenkonsumenten und will dessen Dealer festnehmen. Der Kunde kennt den echten Namen seines Händlers nicht, hat aber dessen Whatsapp-Profilfoto auf dem Handy. Dieses Foto können die Ermittler nun mit der Datenbank des Bundeskriminalamts abgleichen, denn sie haben einen konkreten Verdacht gegen eine konkrete Person.

Der dritte Grund, warum die Methode für die Polizei zunehmend wichtig wird: Immer häufiger seien Fotos die einzige Spur, erklärt Egger. Er erinnert sich an einen Fall von Körperverletzung in einem Münchner Nachtclub. Das Opfer hatte keine Ahnung, von wem es verprügelt wurde, es gab nicht die geringste Spur. Doch der Club hatte in der Nacht Partybilder knipsen lassen und die Fotos auf seiner Homepage veröffentlicht. Tatsächlich erkannte das Opfer den Schläger auf zwei der Fotos. Dass er der Kamera die gepiercte Zunge entgegenstreckte und eine weiße Kappe auf dem Kopf trug, half ihm auch nicht weiter. Der junge Mann war bereits wegen eines früheren Vergehens in der Datenbank erfasst, die Software fischte das passende Polizeifoto samt Name und Anschrift heraus - und der Fall war gelöst.

Bei 3,5 Millionen erfassten Straftätern, allein 800 000 davon aus Bayern, ist es kaum mehr möglich, ohne digitale Unterstützung ein Bild einem Namen zuzuordnen. Es ist ein Kraftakt, der schieren Masse Herr zu werden. "Früher konnte ich je nach Modus Operandi ein Register rausziehen und dem Opfer zehn Fotos zeigen von örtlichen Verbrechern", erklärt Egger. "Heute geht das nicht mehr."

Der Münchner Chef-Ermittler will bald noch einen Schritt weitergehen. In der Datenbank des Bundeskriminalamts sind nur Verbrecher erfasst, die bereits erkennungsdienstlich behandelt wurden. Egger will noch in diesem Jahr beim LKA eine neue Datenbank aufbauen mit Bildern von unbekannten Verdächtigen. Schlagen dieselben Täter mehrmals zu, könnte die Software dabei helfen, verschiedene Verbrechen einer einzelnen Person zuzuordnen. Das wiederum könnte die Ermittlungen erleichtern, wenn sich zuvor isolierte Spuren zu einem einzelnen Puzzle zusammenfügen. Zudem will Egger in diesem Jahr "personell aufstocken" und "eine eigene Organisationseinheit" für die Bilderkennung schaffen.

Bedenken wegen des Datenschutzes hat der Leitende Kriminaldirektor keine. Im Gegenteil: "Es wäre völlig verantwortungslos, Bilder zu haben und nicht damit nach dem Täter zu suchen. Das wäre, wie Fingerabdrücke sammeln, aber sie nicht verwenden." Auch der bayerische Datenschutzbeauftragte Thomas Petri hält die digitale Bildersuche nach Verbrechern für "nicht grundlegend problematisch", solange sich die Suche auf einen konkreten Tatverdächtigen beschränke und nicht massenhaft Unschuldige gescannt würden.

"Wir erwarten in Zukunft mehr und mehr Fotos und Videos von Verdächtigen", sagt Egger. "Und wir müssen uns das alles anschauen." Gerade habe das LKA eine neue Software getestet, die selbständig Gesichter in Videos wiedererkenne und biometrisch verwertbare Screenshots erstelle. "Das funktioniert gut", sagt Egger. "Wir werden die Software kaufen."

Es ist eine politische Entscheidung, wo die Grenze für den polizeilichen Einsatz neuer Technologien gezogen wird. Datenschutzbeauftragter Petri warnt vor einer flächendeckenden Videoüberwachung verbunden mit einer automatischen Gesichtserkennung. "Jedes System ist anfällig für Fehler", sagt er. Außerdem seien auch Unschuldige ohne ihr Wissen in polizeilichen Datenbanken erfasst, "oft reicht schon ein Verdacht". Den Pilotversuch der Bundespolizei in Berlin, bei dem am Bahnhof Südkreuz gefilmte Personen in Echtzeit identifiziert und ihr Verhalten automatisch ausgewertet wird, hält Petri für "extrem hoch problematisch".

© SZ vom 05.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Kriminalität
:Bayern setzt auf automatische Gesichtserkennung

In den ersten zehn Monaten des Jahres wurden auf diese Weise bereits 83 Verdächtige ermittelt. Datenschützer sehen das Vorgehen kritisch.

Von Johann Osel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: