„Glaubst du, dass der liebe Gott die Leistungsgesellschaft erfunden hat?“, fragt eine junge Frau, die die Künstlerin Kristina Schmidt zu sein scheint, zwei ältere Herrschaften, vermutlich ihre Großeltern, in einem Videomitschnitt. Dieser ist Teil ihrer Installation „Fountain in the rain“ und wird derzeit in der Galerie der Künstler*innen als Teil der Ausstellung „Tacker 2024/Preselection“ gezeigt. Schmidt setzt sich mit der künstlerischen Subjektivität und mit kapitalistischen Ideologien auseinander. Die Frage nach dem Sinn, sie ist ein verbindendes Element zwischen vielen der Arbeiten, die sonst eigentlich so gar nichts miteinander zu tun haben.
Die Galerie an der Maximilianstraße, in denen die Ausstellung stattfindet, ist gut besucht. Künstlerinnen und Künstler sind da, aber auch Kunstinteressierte, Familie und Freunde. Die Stimmung ist ausgelassen an diesem warmen Sommerabend, an dem die Vernissage stattfindet, die Aufregung groß. Tacker ist eine Chance. Eine Chance auf Sichtbarkeit und eine Chance, um zeigen zu können, was man kann. Um sich einen Platz in der Welt der Kunst zu erstreiten. Etwas, das nicht immer ganz einfach ist, hat man den Schutz der Akademie einmal verlassen.
„Wenn man mit dem Studium fertig ist, wird einem vielleicht zum ersten Mal bewusst, dass man sich dann sein Netzwerk selbst erarbeiten muss. An der Akademie ist es selbstverständlich, dass die eigene Kunst circa einmal im Jahr auch der Öffentlichkeit gezeigt wird. Eine wichtige Rückmeldung und auch Anerkennung für die eigene Praxis, etwas, das einem Sicherheit gibt“, so Michael Schmidt, Betreuer der Ausstellungsreihe Tacker.
Nicht zuletzt würde die Finanzierung der eigenen Arbeit und des eigenen künstlerischen Schaffens nach dem Studium immer schwieriger werden. Das fange zum Beispiel damit an, dass man in der Akademie kostenfreien Zugang zu Werkstätten hat. „Wer in München wohnt, weiß, dass es hier Ateliers in Hülle und Fülle gibt, die dann auch noch bezahlbar sind“, scherzt Schmidt mit sarkastischem Unterton in der Eröffnungsrede. Ein Lachen geht durch den Raum und hallt von den Wänden wider. Die jungen Künstlerinnen und Künstler wissen nur allzu gut, wovon er spricht.
Genau hier setzt der Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) München und Oberbayern an. 14 Kunstschaffende zeigen in diesem Jahr bei Tacker, was sie können. In einem Open-Call-Verfahren können sie ihre Werke pitchen, die Ausgewählten dürfen dann in der Galerie der Künstler*innen ausstellen. Am Ende dürfen dann drei von ihnen die Räumlichkeiten im nächsten Jahr erneut nutzen. Außerdem gibt es dann auch ein Produktionsbudget. Und Künstlerhonorar. Am Ende des zweistufigen Verfahrens steht für eine glückliche Person der Förderpreis des BBK. Tacker ist also keine im klassischen Sinn kuratierte Ausstellung mit gewolltem inhaltlichen oder formalen Fokus. Man bietet einen Überblick über das, woran Künstlerinnen und Künstler derzeit arbeiten und was die Szene beschäftigt.
Besuchermagnet ist an diesem Abend eine Serie an Pinselzeichnungen als Teil der mehrere Meter breiten Installation „Why didn’t you call“ von Veronika Günther. Immer wieder zieht es einen vor die große Wand, die Kleinteiligkeit der Zeichnungen und die vielen Details lassen einen immer wieder Neues entdecken. Im Fokus der Bilder steht die Komplexität zwischenmenschlicher Beziehungen. Es wird eine Geschichte erzählt. Die Fragen, die sich beim Betrachten unweigerlich aufdrängen: Wann gebe ich mich selbst auf, wann ist genug genug? Why didn’t you call? Die Art, in der Günther diese in ihrer Kunst verarbeitet, ist schonungslos, rau.
Höhepunkt des Eröffnungsabends ist aber die Live-Performance „Presence“ von Andres Torres, die Körperkonzepte verhandelt. In der laufenden Ausstellung ist diese als Aufzeichnung zu sehen. Der Raum ist abgedunkelt, überall Lichter. Man hört wummernde, beinahe meditative Töne. Mittendrin ein junger Mann, der sich in schwarzer, halb zerrissener Kleidung und mit leuchtender Maske durch den Raum schlängelt und dabei mit dem Publikum in Interaktion tritt. „Um die Beziehung zwischen sozialen Strukturen und dem Individuum zu erforschen“, wie er über sich selbst schreibt.
Die Vielfalt der ausgestellten Arbeiten – von großen Rauminstallationen über Skulpturen und Multimedia-Werken bis hin zum winzigen Zeichnungen und Malereien – sorgt immer wieder für Überraschungen. Eine inhaltliche Kohärenz ist da zwar nicht auszumachen, dafür stimmt aber die Chemie zwischen den Künstlerinnen und Künstlern. Insbesondere am Eröffnungsabend. Da ist kein offenkundiger Konkurrenzkampf vorherrschend, sondern nur das Gefühl, gemeinsam etwas geschafft zu haben.
Tacker 2024/Preselection, Galerie der Künstler*innen, Maximilianstraße 42, bis 25. August