Süddeutsche Zeitung

Szene München:Willkommen in München, der Stadt des Whiskys

Früher haben alle Bier bestellt, Kellner kamen ohne Block aus - da war noch alles in Ordnung.

Kolumne von Korbinian Eisenberger

Samstagabend, ein Münchner Lokal, Bestellrunde: Der erste ordert ein Helles, die anderen auch. Vielleicht werden ein zwei Weißbier eingestreut, das ist es dann auch schon mit der Abwechslung. Der Kellner lässt den Notizblock stecken und bringt fünf bis acht Halbe. Damit ist der Fall erledigt, zumindest für die nächsten 20 Minuten, je nach Durst. So ähnlich lief das immer ab.

Die Runde trifft sich nach wie vor. Neu ist: Dort wo früher Krüge auf Bierdeckeln standen, liegen jetzt immer häufiger Papierservietten unter Gin- und Whisky-Gläschen. 10 bis 15 Euro für ein paar Tropfen, wegen des rauchigen Geschmacks. Gut im Abgang, verzapft einer. Er meint das alles vollkommen ernst.

Es ist ein Phänomen: Die selben Typen, die im Studentenwohnheim die Küche kistenweise mit Weißbier blockierten, ziehen jetzt über ihre Bürokollegen und die Nebenwirkungen von Weizen her. Diejenigen, die sich bis vor Kurzem noch jedes zweite Wochenende mit Oettinger-Bier zudröhnten, schwenken jetzt Single-Malt-Tumbler und faseln über Aromen von Seeluft und Torf.

Vielleicht gibt es sie unter Münchens Berufseinsteigern, die Genießer, die sich ihre edlen Tropfen jetzt endlich leisten können. Ihnen sei es vergönnt. Das erklärt aber nicht, warum sich neuerdings gefühlt jeder zweite Münchner Ende 20 als Whisky-Kenner ausgibt. Geht es um die Verkörperung einer neu gewonnenen Seriosität? Liegt es an der Freundin, die jetzt öfters mit am Tisch sitzt? Daran, dass in der Runde nicht mehr über Aufrisse, sondern Aktien gesprochen wird?

Man muss nicht alles so halten wie im Studium. Genauso daneben ist es aber, mit dem Jobeinstieg zur schnöseligen Torfnase zu verkommen. Papierserviettendrinks und Wertpapiere gehören einfach nicht ins Wirtshaus, das ist nicht seriös, vielmehr eine besonders abscheuliche Ausprägung von Münchner Pseudo-Avantgarde, eine Verschwendung von Zeit - und Papier.

Man kann nur hoffen, dass sich die Whisky-Zuzler irgendwann jener Zeit entsinnen, als der Kellner noch ohne Notizblock auskam.

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Quelle:
SZ vom 09.02.2017/bhi
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