Szene München:Wer ausgehen möchte, muss bald raus aufs Land fahren

Gäste vor dem Lokal "Hey Luigi" in München, 2014

Freisitze werden immer teurer - deswegen sind hippe Cafés wohl lukrativer als Bars wie das "Hey Luigi" im Glockenbachviertel.

(Foto: Stephan Rumpf)

Immer neue Restaurantketten und hippe Wohnblöcke: Für die Münchner Kneipe bleibt kein Platz. So manche Gegend verkommt zur Schlafvorstadt.

Von Andreas Schubert

Gute Immobilienmakler haben einen Riecher für Trends. Kaum hat sich irgendwo ein Hoverboard fahrender Rauschebart in einem Viertel angesiedelt, schon steigen die Wohnungspreise. Schließlich kann man jede beliebige Siedlung fortan als Szeneviertel deklarieren. Das Dreimühlenviertel ist so ein Fall. Früher war es hier billig, es gab Geschäfte, diverse Kneipen und ein bunt gemischtes Publikum. Heute ist es zunehmend ein Habitat für Geldige - weshalb das kleine Wohnquartier in den vergangenen Jahren immer teurer wurde.

Weil dort die Hipsterdichte relativ hoch ist, heißt es heute im Maklersprech etwa: "Tolle Lage im Szeneviertel" oder "Altbauperle im Trendquartier". Inzwischen ist es so, dass Kneipen und kleine Läden mit ins Absurde steigenden Mietpreisen weniger wurden und Büros oder Wohnungen weichen mussten. Wer will schon unter seinem 2000-Euro-Altbaukokon eine laute, stinkende Gastronomie? Bislang hat das Szene-Image aber noch nicht gelitten. So haben sie am Roecklplatz nun einen nicht gerade billigen Wohnklotz für etwa 600 neue Trendviertelbewohner hingestellt.

Szeniger Coffee to go, Paninis und andere hippe Dinge

Freilich haben die Bauherren erkannt, dass jemand, der zentral wohnt, auch ein gastronomisches Angebot braucht. Und so wird Mitte Februar in den Neubau ein voll trendiges Bäckereikettencafé einziehen, das szenigen Coffee to go, Panini und andere hippe Dinge feilbietet. Dass einen Steinwurf weiter gleich zwei Bäckereicafés direkt gegenüber sind - was soll's!

Coffee to go am Tag statt Bier am Abend ist der neue Trend: Für einen Vermieter ist das natürlich easy. Es gibt keine Beschwerden über nervige Raucher vor der Tür, und abends ist eh Ruhe. Auch die Stadt glaubt offenbar dem Szene-Blabla der Makler und hat vergangenes Jahr die Gebühren für Freisitze verdreifacht und auf das Niveau der Touristenlokale in der Innenstadt angehoben. Weil die wenigen noch verbliebenen Wirte ohnehin schon hohe Pachten zahlen, müssen sie wohl ihre Preise deutlich erhöhen, wenn sie keiner Bürogemeinschaft oder einer weiteren Bäckereikette weichen wollen.

Aber vielleicht ist das ja der Trend: Man ersetzt die gewachsene Infrastruktur durch große Ketten, die sich hohe Pachten und Gebühren locker leisten können. Und macht aus einer belebten Gegend eine Schlafvorstadt, in der es nicht viel mehr braucht, als ein überbordendes Semmelangebot vom Kettenbäcker. Wer ausgehen möchte, kann ja raus aufs Land fahren.

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