Süddeutsche Zeitung

Szene-Kolumne:Runter vom Sofa

Nur noch wenige Menschen über dreißig Jahren verirren sich in Münchens Clubs. Doch es ist falsch, im Alter vor der Nacht zu kapitulieren, man versäumt so viel dabei.

Judith Liere

Auf Facebook zirkulierte vor einiger Zeit ein Bild mit einem Spruch, der lautete: Ich denke immer noch, 1990 sei zehn Jahre her. Die meisten Kommentare dazu lauteten: Hä? Was ist denn daran falsch? Deshalb sei es hier noch einmal allen gesagt: Zwanzig, es sind zwanzig, genauer gesagt sogar 22 Jahre, und das bedeutet: Ihr seid alt.

Jetzt feiert das Atomic Café seinen 15. Geburtstag, und alle Münchner über dreißig, die Gitarrenpopmusik mögen, dürfen dieses Wochenende nun darüber nachdenken, wie die Zeit so schnell vergehen konnte und sich damit abfinden, dass ihre Jugend jetzt wirklich vorbei ist. Aber dieses Gefühl kommt sowieso bei jedem Atomic-Besuch auf, weil alle anderen Gäste so aussehen, als wären sie bei der Eröffnung des Clubs noch gar nicht geboren gewesen.

Als man selbst noch so jung war und ausging, fragte man sich immer, was diese scheinbar unfassbar alten Menschen, die sich vereinzelt auf der Tanzfläche wiegten, noch in einem Club suchen. Heute ist man einer von ihnen und hat es immer noch nicht gefunden.

Dabei ist es ein Irrglaube, dass man irgendwann in das Alter kommen würde, in dem man keine Lust mehr hat, auszugehen. Dass Menschen über dreißig weniger in Clubs zu sehen sind, liegt nicht daran, dass sie es schlagartig doof finden, sich zu guter Musik bei alkoholischen Getränken mit anderen Leuten im Takt zu bewegen. Es liegt eher an der Müdigkeit, bedingt durch Karriere-Aufbau-Überstunden und eventuelles Nachwuchshüten. Es ist eine Müdigkeit, der man sich besonders schnell ergibt, wenn es keine Notwendigkeit zur Partnersuche mehr gibt, die einen hinaustreibt.

Dabei ist es falsch, einfach zu kapitulieren, vor der Nacht, man versäumt so viel dabei. Und wenn sich all diese Menschen über dreißig mal ein bisschen zusammenreißen und wieder ihre Sofas verlassen würden, dann müsste man sich auf der Tanzfläche des Atomic auch nicht mehr aufgrund seines Minderheitenstatus' schämen. Sondern könnte am Wochenende mit gutem Gefühl zur Geburtstagsparty gehen.

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Quelle:
SZ vom 13.01.2012/sonn
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