Süddeutsche Zeitung

Szene-Kolumne:"Laber mich nicht voll"

Endlich ist wieder Biergartenwetter und die Münchner räsonieren darüber, wie schön es ist, dass hier alle gleich sind. Aber wieso funktioniert das in der U-Bahn eigentlich nicht? Und was können Menschen tun, die zwar Bock auf Biergarten, aber nicht auf das vom-Banker-zum-Bauarbeiter-Blabla haben?

Judith Liere

Hach, seufzen die Menschen derzeit kollektiv, endlich ist wieder Biergartenwetter. Dann räsonieren sie darüber, wie schön es doch ist, dass im Biergarten alle gleich seien, das vom-Banker-zum-Bauarbeiter-Blabla, man setzt sich ja einfach dazu, jung und alt, einträchtig beieinander, und man kommt ins Gespräch, hach, was für eine tolle Tradition ist doch der Biergarten, die Wiege des klassenübergreifenden Miteinanders, wo hat man denn sonst sowas heutzutage noch?

An vielen Orten eigentlich, aber die sind zu Recht das Gegenteil von Hach-wie-schön. Niemand sagt bei Schneesturm, der die Menschen von Auto und Fahrrad in die U-Bahn zwingt: Hach, endlich ist wieder U-Bahnwetter. Dabei herrscht in U-Bahnen das gleiche Prinzip wie im Biergarten: Alle sind gleich, sitzen auf engstem Raum nebeneinander.

Prima könnte man nun ins Gespräch kommen. Aber hier stopfen sich die Menschen Kopfhörer in die Ohren oder blicken in Bücher, Zeitungen oder gar aus dem Fenster, hinter dem es nichts zu sehen gibt als die Dunkelheit des Tunnels - alles ist besser als der Depp, der neben einem hockt. Drückte einem der Sitznachbar ungefragt ein Gespräch auf, man fühlte sich belästigt von diesem Sonderling.

Es gibt Menschen, die meiden Biergärten genau aus diesem Grund. Das ist schade, denn Biergärten sind meist schöne Orte. Man sollte für diese Menschen einen zusätzlichen Bereich schaffen, die "Laber mich nicht voll, ich will lieber mit meinen Freunden reden als mit dir"-Zone.

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Quelle:
SZ vom 03.05.2012
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