Szene-Kolumne:Bei Regen rücken die Münchner zusammen

Regen im Englischen Garten

Die einen suchen im Englischen Garten unter Bäumen Zuflucht, andere unter einer Decke - oder unter einem Schwimmreifen.

(Foto: Korbinian Eisenberger (OH))

Wenn es gießt und schüttet, dann wäscht es die Latte-Macchiato-Ladys und BWL-Hipster zurück in Schwabings Altbauten.

Von Korbinian Eisenberger

Open Air Kino am Münchner Westpark, 21 Uhr, der Film hat gerade begonnen, da packt ein Mann seinen Schlafsack aus und legt sich rein. Etwas ungewöhnlich, vielleicht etwas warm, aber sicherlich auch gemütlich. Kurz darauf fängt es zu regnen an, die Menschen brechen auf, nehmen ihre Decken und Klappstühle mit. Einige wenige bleiben, sie spannen Regenschirme auf. Nur der Mann im Schlafsack, der macht gar nix, er bleibt einfach liegen.

Die meisten Münchner lassen sich den Abend vom Wetter durchkreuzen. Egal ob an der Isar, im Englischen Garten oder sonstwo: Wenn es strömt, fließt kein Bier mehr, dann strömen plötzlich auch die Menschen, nämlich zurück in die Stadt. Regen macht nass, das taugt vielen nicht, sie befeuchten sich lieber von innen. Dabei ist der Regen gerade in den Münchner Abendstunden etwas ganz Vortreffliches.

Schon wenn Wolken die Tropfen ankündigen, verabschieden sich nämlich die vermeintlich Souveränen. Dann gehen jene, die nichts dem Zufall überlassen, die den Eisbach meiden und sein langweiliges Brüderchen vorziehen, den Schwabinger Bach - stets so, dass die gegelten Haare trocken bleiben. Das sind meist auch die Gestählten, die mit Smoothie an die Isar kommen und nach einer Stunde wieder los müssen, wegen Fitnessstudio. Oder wegen Regen.

Allein deswegen ist Regen ein Segen für das Leben unter dem Münchner Himmel. Denn wenn es gießt und schüttet, dann wäscht es die Latte-Macchiato-Ladys und BWL-Hipster zurück in Schwabings Altbauten - oder dorthin, wo es Burger zwischen Astrohren gibt. Zurück bleiben jene, die sich ihr Bier mitbringen und ohne Schirm unterwegs sind. Am Eisbach rücken sie unter Bäumen zusammen, schauen zu, wie ihre löchrigen Radsättel durchweichen. Und unter den Isarbrücken verdichtet sich der Qualm der Grasanbeter.

Nicht alles, was dann passiert, ist zwingend raffiniert. Beschwipste Buben, die ihren Schwimmreifen zum Regenschirm umfunktionieren, Deppen, die meinen, jetzt ins reißende Wasser der Isar springen zu müssen. Leute, die ihren Schlafsack ruinieren. Und dennoch ist ein Schauer wie Balsam für diese Stadt: Unter Bäumen und Brücken ist es dann fast so eng wie in der U-Bahn, nur dass sich die Menschen diesmal in die Augen schauen. Sie wollen wissen, wem es noch so taugt, dass es gerade prasselt. Bei Regen rücken die Münchner zusammen, die Stadt verliert ein bisschen was von ihrer erdrückenden Souveränität und wirkt plötzlich so ganz bezaubernd normal.

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