Szenario:"Wunderbarer Voyeurismus"

Miroslav Klose stehen die Haare zu Berge, Jack White steigt auf die Bank und Joko Winterscheidt bringt den Abend auf den Punkt: Beim Almauftrieb im Käferzelt ist wieder zu sehen, dass niemand eine Showbühne so gut nutzen kann wie die Münchner

Von Philipp Crone

Es geht um Sekunden. Im einen Moment sind die Gäste noch ganz besonders guter Dinge, stehen am Sonntagabend bereitwillig an der Treppe zum ersten Stock des Käferzelts, wo gleich wieder ein Spektakel seinen Lauf nimmt, das in München einmalig ist. Was eben passiert, wenn 1100 Menschen, die eher zur extrovertierten Sorte gehören, auf engstem Raum bei lauter Musik, dutzenden Fotografen und Kameraleuten und starkem Bier zusammenkommen. Zwanzig Sekunden später, die meisten der Gäste müssen im normalen Leben selten warten, sind Frauen in türkis, rosa oder golden schimmernden Glitzerdirndln auf High Heels dicht gedrängt neben Herren eingepfercht, deren Samtwesten reinigungsfrisch schimmern, und ziehen eine erste Stirnfalte ins Pastell-Make-up. Aber so ist das eben bei einer Veranstaltung, die Almauftrieb heißt. Dazu laden Veranstalter Philip Greffenius und Wirt Michael Käfer zum 19. Mal ein, und auch in diesem Jahr ist das ein Improvisationstheater von beachtlicher Wucht. Das Warten lohnt sich also an der Treppe.

Man kann sich die Darbietung im ersten Stock in den schmalen Gängen zwischen vollgestellten Tischen wie ein Theaterstück auf einer völlig überfüllten Bühne vorstellen. Die einen inszenieren sich darauf, die anderen amüsieren sich darüber. Miroslav Klose zum Beispiel stehen die Haare zu Berge, was aber eher am Gel als am Anblick liegt, den er vor sich hat. Da stöckeln Damen vorbei und geradewegs ins Blitzlicht der erfreuten Fotografen. Viktoria Lauterbach, ihres Zeichens Ehefrau des Schauspielers Heiner, gelingt das Kunststück, auf jedem zweiten Bild aufzutauchen und dabei so auszusehen, als hätte ihr gerade jemand auf den Fuß getreten. Nebenan erklärt Giulia Siegel, beruflich DJ und Model, dass es selbstverständlich in Ordnung sei, wenn ihr Freund hier auch flirte, was der neben ihr auch gleich mit einem konzentrierten Blick in die Jagdgründe zwischen Masskrügen und Brätern voller Frühmastenten quittiert. Er kann da zum Beispiel Tagesschau-Moderator Jan Hofer sehen, den man mit seinem Eintagesbart schon kaum mehr erkennt, während Ex-Tennis-Spieler Charly Steeb glatt rasiert ist, als müsste er die sportlichen Erfolge der anderen Gäste in eine der Kameras aufsagen. Marc Girardellis 46 Weltcupsiege oder Kloses 16 WM-Tore. Draußen berichtet Musikerin Kristina Bach davon, wie sie doch sage und schreibe drei Schirme an einem Tag verloren habe bei dem Sauwetter. Vielleicht muss ihr Manager ihr mal einflüstern, dass man die mehrmals benutzen kann. Trotzdem gefällt es Bach auf der Wiesn, obwohl sie "kein Bier-Fan" ist. Dafür gibt es zum Glück eine Lösung, am Tisch von Moderator Joko Winterscheidt sind zwei Plastikkübel aufgestellt, in denen Ruinart-Flaschen liegen, in Eiswürfeln, die weiß und rosa blinken. Der Champagner wird in Krüge gegossen, das schmeckt sicher ganz prickelnd.

"Hast du etwas Zeit für mich?" singt Nena und Sky-Chef Carsten Schmid erklärt lächelnd, als wieder eine Traube Dirndl-Damen mit blitzendem Geleit vorbeigezogen ist, dass der Abend so schön sei, weil alle noch "so unverbraucht von der Wiesn sind". Die schwer behängte Accessoires-Dandlerin kommt zu Schmid, den Plüsch-Marienkäfer für 34 Euro in der Hand. Am besten gehen die "Läuft bei mir" und "Leider geil"-Herzen, sagt sie und hastet schnell weiter an den Tisch von Jack White. Der 77-jährige Musiker, der eigentlich Horst Nußbaum heißt und Fußballprofi in Eindhoven war, steht als erster auf der Bank, was seine Frau zu einem ängstlichen Griff an die Beine ihres Mannes veranlasst, aber was soll man machen, wenn "Live is life" läuft. Life ist eben life, gerade beim Impro-Theater. Und wer nicht auf der Bühne im Gang steht, der nimmt sich selbst oder das Durcheinander mit dem Handy auf. Nirgendwo sonst ist es so eng, so heiß, so glitzernd, so sympathisch und zugleich aberwitzig, dass man mit einem zufriedenen Lächeln den Kopf schüttelt.

Die einen genießen einen Aufschnitt, andere einen Ausschnitt, die Band spielt "Ein Hoch auf uns" und Joko Winterscheidt sagt zum Gesamtgemälde dieses Abends: "was für ein wunderbarer Voyeurismus."

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