Süddeutsche Zeitung

SZenario:Segensreiche Führungsschwäche

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Gaukler, Chaoten und eine Seelenverwandte von Lena Christ: Beim Schwabinger Kunstpreis werden wieder viele Schoten erzählt

Von Thomas Becker, München

Unter 30 Grad geht gar nichts. Es ist längst Tradition, dass der Schwabinger Kunstpreis bei bestem Biergartenwetter verliehen wird. Kein Sommergewitter, kein Schauer, ein typisch Münchner Weltklasseabend halt. Dennoch verbringt man einen solchen Abend immer wieder gern in der Kantine des Verwaltungsbaus der Stadtsparkasse. Was weniger am spröden Ambiente liegt, als vielmehr an den Künstlern, die hier ausgezeichnet werden.

Zum Beispiel Gunna Wendt. Kulturreferent Hans-Georg Küppers, der wie immer gekonnt-charmant moderiert und auch als Conférencier auf einem Kreuzfahrtschiff reüssieren würde, macht Lust auf die Bücher der "Seelenverwandten von Lena Christ, Franziska zu Reventlow, Liesl Karlstadt und Emmy Hennings". Die Jury lobt ihre Biografien, "die die Schwabinger Bohème wiederauferstehen lassen".

Da möchte man gleich loslesen, doch schon stellt Küppers den nächsten Knaller vor: Thorsten Krohn. Laut Jury "Charakterdarsteller und Gaukler, Tragöde und Komödiant, zäh und grazil zugleich, melancholisch und bisweilen hochkomisch". Seit sieben Jahren spielt er an der Schauburg, wo er 2015 mit "20 000 Meilen unter dem Meer" sein Regiedebüt gab.

Von diesem Tausendsassa ist es nicht weit zu Wolfgang Schlick. Um ihm und seiner Express Brass Band gerecht zu werden, hat sich die Jury ins Zeug gelegt: "Sie haben eine nonkonformistische freie Musik hervorgebracht, die tief verwurzelt im Jazz, Soul, Afrobeat mit Einflüssen orientalischer Musik im Kern den unverbrüchlichen Geist Schwabinger Hippness in sich trägt." Die angehende "Tatort"-Darstellerin Eva Löbau schwärmt in ihrer Lobrede auf den "Mann mit der etwas langsameren Eigenrotation" von einem nächtlichen Klangerlebnis im Englischen Garten und preist dessen "segensreiche Führungsschwäche", dank derer die Band "nicht irgendwo angekommen, sondern immer noch unterwegs" sei, nach dem Motto "musikalisch ausschweifen, ohne sich zu verlieren".

Die Wohnung von Schlicks Mutter in der Ainmillerstraße ist für Löbau "die bevölkerungsreichste Schwabings: Man trifft Musiker von Italien bis Pakistan". Mama Erika nennt den 52-Jährigen einen "lieben Chaoten" und erzählt aus der Schulzeit. Sie war Lehrerin an der Wilhelmschule, wollte ihren Sohn aber nicht unterrichten ("Das kann man seinem Kind doch nicht antun"). Doch die Kollegin petzte ständig, was der Filius wieder alles angestellt habe: "Sogar die Füße legt er auf den Tisch! Das gewöhne ich ihm ab!" Darauf Mama Erika: "Da wäre ich Ihnen sehr dankbar. Das macht er zu Hause auch ständig." Schließlich griff die Rektorin ein: "Frau Schlick, jetzt nehmen'S Ihren Sohn halt!" Die Mama stellte der Klasse den Neuen vor: "Das ist der Wolfi." Dass es ihr Sohn ist: kein Wort. Die Geschichte flog auf: Klein-Wolfi meldete sich im Unterricht stets mit "Mami, Mami!". Darauf sein Mitschüler: "Mensch Wolfi, sag' doch nicht immer Mami zur Frau Schlick!"

Mit solchen Schoten sitzt man dann gemeinsam draußen vor der Kantine, bei Häppchen und kühlem Weißwein, vermisst den Biergarten kein Stück, und die Musik spielt dazu. Erst dann kommt das Gewitter.

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SZ vom 28.06.2017
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