Süddeutsche Zeitung

Szenario:Scherz und Vorurteil

Bei der umjubelten Premiere von "Die Goldfische" geht es auf der Leinwand und dem roten Teppich um die Frage, was eigentlich normal ist. Die Komödie mit Tom Schilling und Jella Haase beantwortet sie sehr elegant

Von Philipp Crone

Was ist eigentlich normal? Das ist die zentrale Frage am Mittwochabend im Mathäser bei der Premiere der Komödie "Goldfische", in der eine Gruppe von Menschen mit unterschiedlichen Handicaps Schwarzgeld schmuggelt.

Roter Teppich, schreiende Fotografen, schubsende Kameraleute. Für die routinierten Boulevard-Reporter ist das normal, für Luisa Wöllisch "der absolute Wahnsinn". Die 22-Jährige spielt ihre erste große Rolle, an der Seite von unter anderem Tom Schilling (als querschnittgelähmter Banker), Axel Stein (als Autist), Birgit Minichmayr (als Blinde) oder Jella Haase (als leicht angeknackste Betreuerin). Wöllisch hat das Down-Syndrom und spielt eine Frau mit Down-Syndrom. Am Mittwoch steht sie neben den Kollegen und schaut sich um. Da nuckelt eine Münchner Modedesignerin an einem der herumhängenden Deko-Plastikfische, um fotografiert zu werden, da küsst Schilling den Kollegen Stein, da zeigt Kida Khodr Ramadan (spielt einen korrupten Betreuer) den Fans den Stinkefinger, und ein Reporter ruft zum anderen: "Bist du behindert? - das darf man heute doch schon mal sagen." Wöllisch lächelt, kann aber ihren Schrecken über dieses absurde Schauspiel nicht ganz verbergen. Sie legt oft die Zunge zwischen die Lippen, es wirkt ganz wunderbar wie ein beiläufiges Herausstrecken à la "Geht's noch?"

Wöllisch ist "so stolz", dass sie diese Rolle spielen durfte, und Regisseur Alireza Golafshan erklärt, sie sei "auf Augenhöhe" mit den anderen Darstellern. Er selbst hat seinen ersten Langfilm gedreht und musste sich auch erst einmal zurechtfinden, Schauspielern wie Haase oder Schilling zu sagen, was sie zu tun haben. "Ich hoffe, dass wir eine Komödie gemacht haben, in der wir nicht über Behinderte lachen, sondern mit ihnen." Klaas Heufer-Umlauf, der einen Bankerkollegen von Schilling spielt, formuliert es so: "Ein Thema unverkrampft und respektvoll anzugehen, das ist hier gelungen." Ein paar Schritte weiter schwärmt Haase von Kollegin Wöllisch, die "ganz viel Herz" habe, während Stein und Schilling lieber zu zweit Interviews geben. Sie nervt der Premieren-Zirkus, die immer gleichen Fragen ("Wie war der Dreh?" Immer gleiche Antwort: "Toll, wir waren wie eine Familie." Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?) Wobei Schilling bekannt ist als akribischer Vorbereiter, auch diesmal. Er hat das Rollstuhlfahren monatelang geübt.

Der Umgang mit Behinderten war auch am Set ein Thema. Stein sagt: "Ich spiele einen Autisten und habe mich am Anfang gefragt, ob Luisa Wöllisch mir das krumm nimmt." Natürlich nicht. "Jeder musste eben Berührungsängste abbauen", sagt Stein. Und Vorurteile. Als dann die 1000 Premierengäste Platz genommen haben, passiert das gleiche auf der Leinwand. Schilling kommt als Oliver in die Behinderten-Crew. Ihm geht es nur um Geld, der Gang um alles, nur nicht um Geld. Eher um Pferde, Alkohol oder Musik. Als die Gruppe aufbricht, um Olivers Ersparnisse zu schmuggeln, ist in Echtzeit zu sehen, wie das Geld die Behinderten verändert und die Behinderten den Geldgierigen. In unheimlichem Schnitt-Tempo, mit wunderbar amüsanten und schockierenden Pointen rast der Film bis zur besten Szene: 500er-Scheine rieseln auf eine Kirmes runter, und alle vermeintlich Normalen rasten aus, während die vermeintlich Behinderten überrascht zusehen. Bist du behindert? Kann man auch in diesem Moment fragen.

Wer oder was ist also normal? Jeder. Und jeder ist eigen. Es gibt nur einen normalen Umgang miteinander, respektvoll. Das lernt Oliver, und das Publikum ist so angetan, dass nicht nur lange applaudiert wird, sondern von vielen auch im stehen.

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Quelle:
SZ vom 15.03.2019
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