SZenario:Sport, Spiel, Krieg

SZenario: Turnierteilnehmerin Alina Kashlinskaya, Deutsche Schachgroßmeisterin Elisabeth Pähtz und Schachgroßmeister Stefan Kindermann (von links).

Turnierteilnehmerin Alina Kashlinskaya, Deutsche Schachgroßmeisterin Elisabeth Pähtz und Schachgroßmeister Stefan Kindermann (von links).

(Foto: Florian Peljak)

Beim Charity-Event der Münchner Schachstiftung im Hotel Vier Jahreszeiten schwingt die Politik immer mit, denn der Präsident des Weltschachverbands Fide ist Russe - und eine schillernde Figur.

Von Thomas Becker

Als vorn auf der Bühne von Selbstvertrauen, von Wurzeln und Flügeln die Rede ist, hört Arkadi Wladimirowitsch Dworkowitsch nicht richtig zu. Er klatscht zwar wie die anderen Zuhörer an den richtigen Stellen, aber mit den Gedanken scheint der Russe woanders zu sein: bei dem großen Schachbrett am Fußboden, nur einen Schritt von seinem Sitzplatz entfernt. Er hat sich zur Seite gedreht und blickt nun in Denkerpose auf den Zwischenstand der soeben unterbrochenen Show-Partie. Geht da noch was für Schwarz? Oder ist Schachmatt nur eine Frage der Zeit? Kann Dworkowitsch jetzt auch nicht sagen, auch wenn er als Präsident des Weltschachverbands Fide sozusagen der oberste aller Schachspieler ist. Überraschend ist eher, dass der gebürtige Moskauer überhaupt hier ist, beim Charity-Event der Münchner Schachstiftung im Hotel Vier Jahreszeiten.

Dworkowitsch ist nicht irgendein Russe, sondern Teil des Systems Putin - und zugleich dessen Kritiker, in gewisser Weise, es ist kompliziert. Der Wirtschaftswissenschaftler gehörte von 2000 bis 2018 der Regierung an, war Berater von Präsident Medwedew, danach sechs Jahre stellvertretender Ministerpräsident, wurde als Leiter der russischen Eisenbahn gehandelt, bevor er zum Organisator der Fußball-WM 2018 bestallt wurde.

Seit Oktober 2018 ist der 50-Jährige Präsident des Weltschachverbands, ein erstaunlich politischer Posten, denn im Aufsichtsrat des russischen Schachverbandes sitzen auch Verteidigungsminister Sergei Schoigu und Putins Pressesprecher Dmitri Peskow. Im März hatte Dworkowitsch in einem Interview mit dem US-Magazin Mother Jones Mitleid mit der ukrainischen Bevölkerung gezeigt und Russlands Invasion als Krieg bezeichnet, was als Straftat gilt. Wenig später ruderte er zurück - nachdem er die Schacholympiade 2022 von Russland nach Indien verlegt und die russischen Teams ausgeschlossen hatte. Im August wurde er als Fide-Chef wiedergewählt, gegen Widerstand aus England und Deutschland - und gegen einen ukrainischen Bewerber, der ihm vorwarf: "Du bist verantwortlich für den Aufbau der russischen Kriegsmaschinerie."

Schaut man dem umstrittenen Schach-König einen Abend lang zu, ist von dieser Tektonik wenig zu spüren. Der nicht gerade groß gewachsene Dworkowitsch fällt im dunkelblauen Anzug nicht weiter auf, kommt ohne Bodyguards aus (oder hat gut getarnte), wirkt wie ein höflicher, jovialer, demütiger Gast, was Stefan Kindermann, der Vorstandsvorsitzende der Schachstiftung, bestätigt: "Er hat uns gefragt, ob er überhaupt kommen soll, aus geopolitischen Gründen", erzählt Kindermann, der dem Fide-Chef keinen Korb geben wollte. Schließlich sind im Vier Jahreszeiten gerade zwölf der weltbesten Schachspielerinnen versammelt, für den Women's Grand Prix, ein Turnier mit 80 000 Euro Preisgeld. Alle zwölf sind an diesem Abend da, reihen sich vor sieben Länder-Flaggen und der des Weltschachverbands auf - obwohl Russinnen am Start sind, fehlt die russische Flagge, so viel Konsequenz muss sein.

SZenario: Der Präsident des Schach-Weltverbandes Fide Arkadi Wladimirowitsch Dworkowitsch (links) und Roman Krulich, Gründer der Münchner Schachstiftung.

Der Präsident des Schach-Weltverbandes Fide Arkadi Wladimirowitsch Dworkowitsch (links) und Roman Krulich, Gründer der Münchner Schachstiftung.

(Foto: Florian Peljak)

Die politische Großwetterlage umschifft Dworkowitsch in seiner Ansprache. Er spricht Englisch, sehr schnell, fast nuschelt er. Zum Skifahren sei er kürzlich in der Gegend gewesen, freue sich, Teil des Turniers zu sein, und die Initiative der Schachstiftung finde er sowieso prima. Dem ist nicht zu widersprechen.

Seit 15 Jahren engagieren sich Kindermann & Co. an Brennpunktschulen und in der Nachmittagsbetreuung, werden nicht müde, auf den hohen Wert des Schachspiels für die kognitive und emotionale Entwicklung von Kindern hinzuweisen. Eine, die das aus nächster Nähe mitbekommt, ist Sara Benischke. Ihr sechsjähriger Sohn Max hat vor einem Jahr mit dem Schachspielen begonnen, beim Tandemkurs mit Mama an der Schach-Akademie - mittlerweile bekommt der Junior Förderung, hat mit den Münchner Schulschach-Einzelmeisterschaften sein erstes Turnier gespielt und lässt Mama am Brett keine Chance mehr, wie die Mutter lachend erzählt.

Der Erlös des Abends kommt Münchner Brennpunktschulen zugute.

Mit einem Lachen biegt der Abend in die finale Runde: Die Auktion, deren Erlös Grundschülern in Brennpunktschulen zugutekommt, läutet der Maler, Musiker, Philosoph und Weltenbummler (135 Länder!) Jolly Kunjappu mit einer Keynote ein. 1974 hatte der Drummer einen Hotelrezeptionisten so lang genervt, bis er ihn zu Mick Jagger durchstellte, der in München gerade eine Platte aufnahm - am selben Abend noch trommelte Jolly im Studio für die Stones. Seine Message: "Du kannst an jede Tür der Welt klopfen, und sie wird sich öffnen. Du brauchst Wurzeln, aber auch Flügel, zum Abheben."

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