Szenario:Mach's nur recht toll

Bei der Premiere von Korngolds "Die tote Stadt" an der Staatsoper gibt Marlis Petersen die Stimmungskanone

Von Christian Mayer

Was einem doch für Kräfte zuwachsen können bei so einer Opernpremiere, aber dieser Jonas Kaufmann ist eben auch ein recht robuster Sänger, und das ist hier nicht nur stimmlich gemeint. Beim Schlussapplaus jedenfalls hat er das dringende Bedürfnis, seine Partnerin aus der Oper "Die tote Stadt" geradezu heldentenorhaft in die Höhe zu wuchten, und so hebt die umjubelte Marlis Petersen buchstäblich ab, emporgehoben von Bravi-Rufen und schierer Manneskraft. Für die enorm biegsame, auch schauspielerisch überzeugende Sopranistin sind das triumphale Momente, das Publikum zeigt sich begeistert von ihrer Darbietung ihrer Marietta, die den aus Trauer um seine verstorbene Frau eingefrorenen Paul (Jonas Kaufmann) mit immer neuen Verführungstricks aus der Reserve lockt.

Szenario: Küss die Hand: Jonas Kaufmann und Marlis Petersen beim Schlussapplaus.

Küss die Hand: Jonas Kaufmann und Marlis Petersen beim Schlussapplaus.

(Foto: Stephan Rumpf)

Ob das hier überhaupt eine richtige Premiere ist, darüber lässt sich streiten. Einerseits ist die Inszenierung von Regisseur Simon Stone ja eine Übernahme, sie wurde mehr als ein Dutzend Mal in Basel gespielt und für München nun noch einmal an die Verhältnisse an der Staatsoper angepasst. Andererseits ist die Besetzung und das Dirigat von Kirill Petrenko sensationell neu - und es gibt nicht wenige im Publikum, die an diesem Montagabend zum ersten Mal in den Genuss der Opernkunst von Erich Wolfgang Korngold kommen. "Ich finde es schier unglaublich, dass ein 23-Jähriger das komponiert hat", sagt die Filmkritikerin Katja Eichinger, die mehrfach an den Hitchcock-Klassiker "Vertigo" denken musste - an jene schwindelerregende Geschichte, in der die Toten fatale Macht über die Lebenden ausüben. "Ich bin ja selbst eine Expertin im intensiven Erinnern", sagt Eichinger mit der ihr eigenen Selbstironie, sie hat schon vor Jahren die Geschichte ihres verstorbenen Mannes, des Filmproduzenten Bernd Eichinger, in einem bewegenden Buch verarbeitet.

Szenario: Generalmusikdirektor Kirill Petrenko nach der umjubelten Opernpremiere am Montagabend.

Generalmusikdirektor Kirill Petrenko nach der umjubelten Opernpremiere am Montagabend.

(Foto: Stephan Rumpf)

Bei der Party im Keller des Nationaltheaters geht es dann weniger um die Gespenster der Vergangenheit, sondern um die gegenwärtigen Opernstars. Jonas Kaufmann wird einmal mehr von Verehrerinnen belagert und steigert seinen Sympathiewert mit dekorativer Schüchternheit, während Marlis Petersen eine ansteckende Fröhlichkeit verbreitet und Regisseur Simon Stone mit seiner langen Lockenpracht so aussieht, als käme er direkt vom Hollywood-Dreh - beim gebürtigen Baseler Stone läuft es international gerade so gut, dass er fest vereinbarte Inszenierungen wie kürzlich am Residenztheater schon mal absagen muss. Was Resi-Intendant Andreas Beck bei der Feier natürlich noch mal süffisant anspricht - "aber wir bleiben Freunde und die Premiere wird bald nachgeholt".

Der Dramatiker Albert Ostermaier fasst den Abend dann prägnant zusammen: "Dieses Drama ist sehr alltagstauglich. Es kennt doch jeder einen Menschen, der von Trauer und Verlust komplett ergriffen ist und dabei vergisst, dass Liebe auch bedeutet, irgendwann loszulassen." Aber in "Die Tote Stadt" geht es zum Glück nicht nur um die schwarzen Schatten, sondern auch um die pralle Lust am Leben - oder wie es Marietta auf der Bühne ausdrückt: "Mach's nur recht toll. Gibt's Sekt?" Oh ja, reichlich, er könnte nur etwas kälter sein.

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