Süddeutsche Zeitung

SZenario:Heilsbringer mit 30

"Wir erwarten Lösungen von Ihnen" - Österreichs Außenminister Sebastian Kurz spricht beim Empfang der Handelskammer über die Probleme Europas

Von Philipp Crone

Ein Heilsbringer? Sebastian Kurz? Wolfgang Heubisch, immerhin altgedienter bayerischer FDP-Minister, nickt. "Ja, bei ihm hat das fast schon Heilsbringer-Charakter, wenn er auftritt." Am Donnerstagabend tritt Kurz in einem schmucklosen Konferenzsaal der Industrie- und Handelskammer München auf, wohin ihn die Griechische Akademie und die Akademie für Politische Bildung geladen haben. Und wenn sich in München Griechenland und Politik treffen, dann ist der Anwalt Stavros Kostantinidis nicht weit. Der steht am Eingang und begrüßt jeden der knapp 400 Gäste per Du und einem Händedruck, darunter auch Sebastian Kurz von der ÖVP, den Kostantinidis kennengelernt hat, wie ein Netzwerker eben Leute kennenlernt: über andere Netzwerker. In dem Fall war es der österreichische Unternehmer René Benko, der Kurz geködert hat. Und so steht Heubisch vor der Rede des Außenministers bei Kurz, dem schlanken 30-Jährigen im dunkelblauen Anzug und sagt mit einem Grinsen: "Wir erwarten jetzt die Lösung von Ihnen."

Die Lösung der Flüchtlingsfrage. Kurz sagt, etwas überrascht, nur: "Danke für die Einladung." Der Mann, dem oft vorgehalten wird, sich um jeden auch politischen Preis selbst in Szene zu setzen, wird an diesem Abend aber schon noch Eindruck machen und Heubisch Recht behalten mit dem Satz: "Er hat Charisma." Aber hat er auch Lösungen?

Zunächst muss sich der Mann den Fotografen stellen, was er genau so professionell macht wie später beim Auftritt auf der Bühne. Rechter Fuß eine Schuhlänge vor den linken, den Kopf minimal nach unten gebeugt, die Augen gerade, wie eine Raubkatze vor dem Sprung. Das soll vermutlich Dynamik vermitteln. Kurz steht in drei Minuten an vier verschiedenen Stellen im Raum exakt so da, ehe er über Europa spricht. Und das, muss man sagen, hat schon seinen Reiz. Ein 30-Jähriger, der die eher ältere Münchner Oberschicht aus Politik und Wirtschaft mit Worten eincremt. Bayerns Europa-Ministerin Beate Merk ist da, der Münchner Sparkassenchef Ralf Fleischer, der Priester Malamoussis, die übliche Kostantinidis-Connection eben. Kurz wird selbstverständlich geduzt zur Begrüßung, ehe er die europäischen Themen in einer halben Stunde abhandelt.

Es brauche in der EU einen Fokus auf Themen, die unbedingt zusammen angegangen werden sollen, andere wie Allergie-Bestimmungen könnten auch in den Mitgliedsstaaten geregelt werden, sagt Kurz. Er rechtfertigt seine Forderung, nach dem Vorbild Australiens Flüchtlingszentren außerhalb der EU einzurichten, um illegale Einwanderung zu verhindern. Illegal auf den Weg machen, was das bei Asylsuchenden bedeutet, fragt Moderatorin Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Jemand, der aus Angst um sein Leben fliehe, könne der illegal sein? Da schwimmt der Minister ein wenig, spricht von Resettlement, also gezielter Umsiedlung, Kontingentlösungen, außerdem verstehe er ohnehin jeden einzelnen Flüchtling "menschlich zu hundert Prozent". Doch Kurz fängt sich schnell. Der Punkt sei, dass sich die Menschen häufig nicht nur ins Nachbarland aufmachten, um Schutz zu suchen, sondern sich auf den Weg machten in das Zielland ihrer Wahl, etwa Deutschland oder Österreich. An der Stelle würden die Grenzen zwischen Flucht und Migration und zwischen Asyl und Zuwanderung verschwimmen. "Können wir es schaffen, jedem das bessere Leben in Deutschland und Österreich zu ermöglichen, der bereit ist, einen Schlepper zu bezahlen? Ich glaube nicht."

Am Ende wirbt Kurz noch für mehr Wirtschaftsförderung in den Herkunftsländern der Flüchtlinge und kritisiert, dass die EU bei Entscheidung so häufig die Einstimmigkeit benötigt. Dadurch sei gar nicht unbedingt Europa-Gegnerin Le Pen in Frankreich die größte Gefahr, es reiche, wenn irgendein EU-Land Europa blockieren will. "Dann gibt es einen Stillstand."

Sebastian Kurz geht nach langem Applaus noch einmal für die Fotografen in den Raubkatzenschritt, die Gäste schon ans Buffet und Wolfgang Heubisch zufrieden nach Hause: "Er ist auch noch sehr eloquent", sagt er.

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SZ vom 08.04.2017
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