SZenario:Freiheit - mehr als ein Wort

Der türkische Schriftsteller Ahmet Altan erhält den Geschwister-Scholl-Preis - in Abwesenheit, denn der Preisträger kann nur vom Gefängnis aus danken

Von Antje Weber

"Freiheit", dieses Wort schrieb Sophie Scholl in Großbuchstaben auf die Rückseite ihrer Anklageschrift; "Freiheit" war das letzte Wort ihres Bruders Hans, als er 1943 hingerichtet wurde.

An einem denkwürdigen, erschütternden Montagabend erinnert Michael Then in der Großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität daran. Nicht nur in der Rede des Vorsitzenden des bayerischen Landesverbands des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels geht es um Meinungsfreiheit, um Freiheitsberaubung; das Wort Freiheit scheint in Großbuchstaben im Saal und später beim Empfang im Lichthof zu schweben, unsichtbar, aber unüberhörbar ist es, allgegenwärtig. Denn zum ersten Mal in 40 Jahren Geschwister-Scholl-Preis - mit Ausnahme eines posthum verliehenen Preises an Anna Politkowskaja - kann die Auszeichnung nicht vom Geehrten selbst entgegengenommen werden: Ahmet Altan sitzt im Gefängnis.

Vor drei Jahren wurde der türkische Schriftsteller und Journalist festgenommen und zu lebenslanger Haft verurteilt; "unter dem fadenscheinigen Vorwand der Umstürzlerei", wie Oberbürgermeister Dieter Reiter in einer sehr klar Position beziehenden Rede sagt. Inzwischen wurde das Strafmaß herabgesetzt, Altan sogar kürzlich freigelassen, jedoch nach einer Woche erneut eingesperrt. "Ich werde die Welt nie wiedersehen", diese Befürchtung steht als Titel über seinen so klugen wie berührenden Texten aus dem Gefängnis, für die er nun ausgezeichnet wird. Eine "Kapitulation vor dem Unrecht" sei dieses Buch jedoch nicht, darauf verweist Reiter, sondern "ein öffentlicher Aufschrei, der nach Solidarität ruft, unser aller Solidarität". Altan habe darauf jeden Anspruch: "Denn es sind auch unsere Werte, für die er im Gefängnis sitzt - Demokratie, Freiheit und Recht." In einem Brief an den Außenminister, so der Oberbürgermeister, habe er das vor einigen Tagen deutlich gemacht.

Verleihung Geschwister-Scholl-Preis 2019, Preisträger Ahmet Altan sitzt im Gefängnis. Große Aula der LMU.

Yasemin Çongar betont in der gut gefüllten Großen Aula der LMU, wie viel dem Autor dieser Preis bedeute. Das wird auch in seiner Dankesrede offenkundig, die Yasemin Çongar stellvertretend vorträgt.

(Foto: Florian Peljak)

Das sind Möglichkeiten, die nicht alle Bürger der Stadt haben; viele bezeugen ihre Solidarität durch ihre Anwesenheit in der gut gefüllten Aula - und langen Applaus für alle Redner. Michael Then etwa beschreibt Altan als einen "Meister des Wortes", nach dessen Auffassung es für jeden Menschen einen Satz gebe, der nur ihm gehöre. "In Ländern wie der Türkei bestimmt der Staat, welche Sätze wiederholt werden sollen", zitiert er Altan. "Wer unerwünschte Sätze wiederholt, begeht ein Verbrechen." Neue, bewegende Sätze Altans sieht Then zum Beispiel in diesen: "Wenn ihr meine Romane lest, dann gebt ihr mir Gastfreundschaft. Dann bin ich in meinem Gefängnis nicht mehr allein."

Das "Gastrecht", das Altan in den Häusern und Sälen all derer genießt, die seine Zeilen lesen und seinen Namen nennen - auch für die Laudatorin Christiane Schlötzer gehören solche, die Kraft der Literatur beschwörenden Passagen zu den schönsten des Buches. Die SZ-Korrespondentin in der Türkei ordnet in ihrer Rede noch einmal genauer die politischen Umstände ein, die zur Verhaftung Altans führten, sie erinnert an den Mut des Autors vor Gericht, als er den Richtern ins Gesicht sagte: "Eine Justiz, die schon tot ist oder gerade stirbt, hat einen fauligen Geruch." Für Altan sei der Zustand der Türkei heute eine "Tragödie", wahlweise auch eine "Komödie". Immerhin, so lässt sie als Hoffnungsschimmer erkennen: Altan halte nicht nur als Zeitzeuge und Ankläger "das Bild einer Epoche der großen Verwirrung" fest, sondern glaube auch, bereits deren Ende zu erkennen: "Die wirklich große Gefahr für Erdoğan", so erinnert sie an seine Verteidigungsrede, "sind nicht die Stimmen seiner Gegner, sondern das Schweigen seiner Unterstützer." Da nicken, nachdenklich, manche Köpfe im Saal.

Verleihung Geschwister-Scholl-Preis 2019, Preisträger Ahmet Altan sitzt im Gefängnis. Große Aula der LMU.

Yasemin Çongar nimmt am Montag den Geschwister-Scholl-Preis für den türkischen Schriftsteller Ahmet Altan entgegen.

(Foto: Florian Peljak)

Stellvertretend nimmt dann Yasemin Çongar den Preis entgegen; die Autorin und Vertraute Altans betont, wie viel dieser Preis ihm bedeute. Das wird auch in seiner Dankesrede offenkundig, die Çongar auf Englisch vorträgt und in der Altan beschwörend schreibt, dass wir Menschen angesichts unseres unausweichlichen Todes Ziele brauchen, die wichtiger sind als unser Leben; dass Mitleid, Güte und Klugheit gegen die "toxische Mischung" aus Nationalismus, Hass, Schlechtigkeit und Dummheit wirken können. Der Preis jedenfalls, auch dies schreibt Altan aus dem Gefängnis, habe einen Teil der Kraft der Geschwister Scholl "auch auf mein Leben übertragen und damit meine Widerstandskraft innerhalb dieser Mauern gestärkt".

Die zu überwinden ist ihm ja ohnehin möglich. Vielzitiert sind die letzten Seiten seines Buchs, von Schauspieler Benjamin Radjaipour zum Schluss vorgelesen. Er besitze die Zaubermacht, die allen Schriftstellern eigen sei, verrät er da: mühelos durch Wände zu gehen. Bis ihm dies auch leibhaftig gelingt, gilt es, immer wieder den nicht neuen, aber derzeit für Altan wohl wichtigsten Satz zu wiederholen; einen Satz, der kürzlich über einem Aufruf von Nobelpreisträger Orhan Pamuk stand und mit dem auch Reiter schließt: "Lasst ihn frei!"

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