SZenario:Empfang hinter Panzerglas
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Beim Gala-Dinner der DLD-Konferenz vernetzen sich Pioniere und Vordenker der Gegenwart. Sie wollen nicht nur die digitale Zukunft formen.
Immanuel Kant war ein Mann mit festen Routinen. Jeden Abend soll er einen Spaziergang gemacht haben mit einer solchen akkuraten Regelmäßigkeit, dass die Menschen in Königsberg dies als zuverlässige Zeitmessung nutzten. Bekannt wurde er jedoch nicht für seine Pünktlichkeit, sondern als einer der bedeutendsten Philosophen gilt Kant als Vordenker der Aufklärung. Seine Schriften regten neue Denkweisen an und das lateinische Sprichwort "Sapere aude", "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen", wurde seit seinem Brief von 1784 zu Kants Leitsatz.
Fast ein Vierteljahrtausend später findet unter dem Motto "Dare to know!" Burdas Konferenzreihe "Digital Life Design" (DLD) in München statt, samt festlichem Gala-Dinner mit geladenen Gästen, nämlich den Vordenkerinnen und Vordenkern der Gegenwart, die die Zukunft gestalten. Sie kommen aus Kalifornien, Oxford, New York oder Helsinki, von McKinsey, Harvard oder aus Garching von der TU-München. Am Donnerstagabend zücken sie im Foyer der Israelitischen Kultusgemeinde am Jakobsplatz die Smartphones, um generierte QR-Codes auf den Displays zum Scannen zu zeigen, mit denen sie eigentlich ihre Kontaktdaten austauschen wollen, um ein wenig enttäuscht, dann doch gedruckte Visitenkarten aus den Taschen zu kramen. Hinter dem schweren Panzerglas gibt es kaum Empfang.
"Bei der DLD bekommt man einen guten Riecher, wohin sich die digitale Zukunft in den nächsten Jahren entwickelt"
Zwischen Tech-Pionierinnen wie Ewa Dürr, zuständig für die KI-Produktentwicklung bei Google Cloud, und Vorständinnen wie Claudia Nema (Telekom) oder Katharina Herrmann (Hubert-Burda-Media) mischt sich auch Ludwig Prinz von Bayern unters Volk. "Bei der DLD bekommt man einen guten Riecher, wohin sich die digitale Zukunft in den nächsten Jahren entwickelt", sagt er. "Dass die Leute aus der ganzen Welt in München eintrudeln und solche Sachen hier stattfinden, ist für Bayern wichtig."
Was sind also die wichtigsten Erfindungen und Neuerungen? "In der Zukunft werden wir eine gemischte Realität haben. Es wird die natürliche Wahrnehmung kombiniert mit Virtual Reality geben", sagt der Schweizer Kurator Hans Ulrich Obrist. Gina Lisa Pfabe vom DLD-Team warnt: "KI ist schon so selbstverständlich wie Elektrizität. Wir müssen uns jetzt überlegen, wie wir mit dem Artificial Intelligence Act der EU umgehen, also einer Regulierung von KI in Europa. In den USA wird mit Datenschutz anders umgegangen." Und der amerikanische Investor und Geschäftsmann Morgan Howard sagt: "Die größte Herausforderung bei der KI, die immer mächtiger wird, ist nun die Ethik. Wie können wir ihr die Spielregeln beibringen?"
Gut also, dass Entscheidungsträger anwesend sind. Der Abend fühlt sich sogar fast wie eine Kabinettssitzung der Staatsregierung an, denn einige Minister und eine Ministerin sind gekommen. Ihr Amt als bayerische Gesundheitsministerin hat Judith Gerlach seit vergangenem November inne, davor war sie für Digitales zuständig. Welche Innovationen sieht sie für Bayern? "Künstliche Intelligenz kann den Verwaltungsapparat entlasten, da versuchen wir gerade weiterzukommen", sagt sie und verrät, wie sie selbst KI im Berufsalltag nutzt. Etwa um Impulse für ihre Reden zu bekommen, nutze sie den KI-Chatbot Chat-GPT. Gerlach macht noch ein schnelles Selfie, bevor sich die Türen des Hubert-Burda-Saals öffnen.
Die 32 runden Tische sind mit Blumenarrangements aus weißen Rosen, grünen Schwanen-Seidenpflanzen und blauen Disteln dekoriert und mit gläsernen Tellern und kleinen Schalen, gefüllt mit Hummus, gedeckt. Menschen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik an einen Tisch zu bringen, ist der Kern der Konferenz, und das macht routiniert und stilsicher Steffi Czerny. Zusammen mit dem israelischen Hightech-Guru Yossi Vardi hat Czerny die DLD-Konferenz vor achtzehn Jahren gegründet. 2022 fand das gesetzte Dinner nach dem ersten Konferenztag im Königssaal der Residenz statt, 2023 im Bayerischen Hof. 16 Vorträge gab es heuer schon vor dem Gala-Dinner, von denen zehn KI im Titel hatten.
"Ich verspreche, dass die Rede nicht mit künstlicher Intelligenz geschrieben wurde, sondern mit menschlicher", sagt Kulturminister Markus Blume bei seiner Ansprache vor dem Hauptgang (Wolfsbarsch mit Artischocke an weißem Tomatenschaum). Am Tisch mit dem ehemaligen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sitzt ein Mann, der ein Start-up gegründet hat, wo an einer App arbeitet wird, die den lästigen Papierkram wie die Steuererklärung eine KI machen lässt. "Ich möchte den Leuten das Wochenende wieder zurückgeben", sagt Peter Meier mit breitem Lächeln. Links neben Meier sitzen zwei Frauen aus Nigeria. "Wir versuchen Brücken zwischen Europa und Afrika zu schlagen - und die Verbindungen so zu gestalten, dass sie nachhaltig und von Dauer sind", sagt Inya Lawal von der Ascend-Studios-Stiftung.
Dass die KI jeden Bereich des Lebens längst durchdrungen hat, von der Kunst, über Gesundheit, wie ein Münchner Zahnarzt beteuert, bis zu Gott, ist jedem der Anwesenden klar. Einer der ausdauerndsten Gäste des Abends ist der amerikanische Tech-Pionier Henry Monzon. Seit vergangenem Herbst ist er Geschäftsführer der Softwarefirma Vernaio und pendelt regelmäßig zwischen Kalifornien und München. Seine Prognose zur Entwicklung von KI? "Der Zug ist gerade erst losgefahren."