SZenario:Der Mann ohne Mimik

Bei der Premiere des bewegenden Films "Gott, du kannst ein Arsch sein" völlig ungerührt und grimmig auftreten? Für Til Schweiger kein Problem, bis fast ganz zum Schluss

Von Philipp Crone

München - Vielleicht kann das nur Til Schweiger. Bei so einem Film so grimmig sein. Da wird am Montagabend auf der Leinwand mit "Gott, du kannst ein Arsch sein" die wahre Geschichte über ein todkrankes Mädchen erzählt, und Schweiger steht auf dem roten Teppich im Arri-Kino, als ob er gerade geblitzt worden wäre. Liegt es an der Rolle, die er spielt? Oder an den Pflichten so einer Premiere? Zwischendrin wird es einmal besser, und am Ende regt sich wirklich noch etwas in Schweigers Gesicht, auch wenn es nur der Mund ist, der ihm während der Bühnenpräsentation auf einmal aufklappt.

Schweiger trägt weder ein Lächeln noch eine Schutzmaske an diesem Abend, und die Hände müssen eiskalt sein, dass man sie weder für den Fototermin noch für die Interviews aus den Hosentaschen nehmen kann. Aber das ist natürlich auch typisch Schweiger. Der Mann hat eine Freude daran entwickelt, seine Umgebung durch Grummeligkeit zu verunsichern. Die Folge ist immer gleich: Wenn der 56-Jährige, der als Deutschlands erfolgreichster Regisseur und Produzent gilt, dann doch lächelt (beim ersten Mal ist es nur ein fieses Grinsen), sind alle so erleichtert, dass sie ihn gleich wieder in Ruhe lassen. Also zum einen ist sie Taktik, diese Steinmiene. Zum anderen wirkt Schweiger aber auch ermüdet vom Premieren-Trott. Da hilft auch eine milde Corona-Variante nicht.

SZenario: Genau zwei Sekunden lang hielt das Lächeln von Til Schweiger am Montagabend bei der Premiere im Arri-Kino. Neben ihm steht Sinje Irslinger, die eine totkranke Teenagerin spielt.

Genau zwei Sekunden lang hielt das Lächeln von Til Schweiger am Montagabend bei der Premiere im Arri-Kino. Neben ihm steht Sinje Irslinger, die eine totkranke Teenagerin spielt.

(Foto: Leonine Filmverleih/oh)

Es ist kein Geschrei im Foyer des Kinos, die Gäste werden zügig in den Kinosaal gebeten. Darsteller Christian Tramitz kann sich nur schnell umsehen. "Das ist schon ein komisches Gefühl, alles ist irgendwie gedämmt. Nur die Fotografen sind so aufgedreht wie früher." Ganz besonders, als dann der Mann mit den Händen in den Hosentaschen mit seiner 24-jährigen Begleiterin auf den Teppich stapft.

Schweiger schaut auch deshalb ernst, weil er ahnt, was gleich kommt. Die ewig gleichen Fragen. Also lässt er die Fotografen rufen und seine Kollegin, die Hauptdarstellerin Sinje Irslinger, ein bisschen hängen. Sie lächelt, posiert, immer mit Abstand, bis Schweiger sie irgendwann von der Seite anschaut und es in seinem Gesicht am linken Mundwinkel doch noch bröselt. Ein Zucken, ein Grinsen, sie schaut zurück, lacht, Drehung zu den Objektiven, und alle Fotografen sind so erleichtert, dass sie Schweiger schon nach zwei Minuten Foto-Call wieder entlassen.

Ausgefuchst, der Mann in dem ausgelutschten Outfit. Als hätte er den gleichfarbigen Teppichboden imitieren wollen, trägt Schweiger eine Kombination aus Olivgrün, von den Schuhen bis zum Sakko. Vielleicht wollte er sich ja tarnen. Er geht rüber, der Film startet ja gleich, und sagt in die Mikrofone noch kurz was zum Inhalt. Schweiger spielt Irslingers Vater, ein 16-jähriges Mädchen, das nach der Abschlussprüfung die Diagnose bekommt: Tumor, kein Jahr mehr zu leben. Es ist die wahre Geschichte, die Frank Pape 2014 erlebt hat mit seiner Tochter. Pape ist auch da, sitzt schon im Kinosaal. Schweiger spielt ihn, einen Seelsorger. Braungebrannt, faltig, verkniffen cool, da ist Schweiger eine astreine Fehlbesetzung als Pfarrer. Aber für einen kommerziellen Erfolg selbstverständlich die Idealbesetzung. Immerhin spricht er der Rolle angemessen salbungsvoll in die Mikrofone. Die Aussage des Films ist für den 56-Jährigen klar: "Leb dein Leben, als ob jeder Tag der letzte wäre." Die reale Steffi Pape hatte nach der Diagnose noch 296 Tage. Und dann sagt Schweiger doch noch etwas mit Nachdruck, es hat den gleichen Effekt wie das Kurzlachen: Alle sind ganz fasziniert und begeistert. "Muss immer erst etwas Schlimmes passieren, bis man merkt: Worüber mache ich mir eigentlich den ganzen Tag immer einen Kopp?" Da merke man erst, dass all die Probleme des Alltags gar keine waren. Der Mann im Tarnanzug schlurft zum nächsten Mikro, lässt einen Reporter mit Ein-Wort-Antworten abtropfen, weiter zum letzten Mikrofon. Die Journalistin liest Fragen wie aus dem Poesie-Album von einem Zettel ab und man befürchtet schon, dass sich doch noch Zornesfalten in die Steinmiene fräsen, doch auf einmal lacht Schweiger und erzählt, etwa vom lustigsten Promi-Moment. Er sei einkaufen gewesen mit seiner damals siebenjährigen Tochter und eine Verkäuferin stürzte auf ihn zu. "Sind Sie Til Schweiger?" "Nein, ich bin Brad Pitt." "Echt!?!" Jetzt lacht er wahrhaftig, "eine wahre Geschichte".

Eine Hand lugt aus der Hosentasche, Schweiger hat plötzlich Lust zu reden. Wofür er Geld ausgeben würde? Einen Privatjet. Der erste Kuss? "Schrecklich, mit 13, sie hat mir ihre riesige Zunge in den Hals gesteckt." Das muss dann reichen, Schweiger nimmt im Kino Platz und schaut den Film mit, für Darsteller eher ungewöhnlich.

Eineinhalb Stunden später, nachdem Steffi Pape mit einem Zirkusartisten nach Paris und zurückgefahren ist und das Leben sehr genossen hat, sitzt Schweiger noch immer im Saal und hört Regisseur André Erku zu, wie der von seinem ersten Treffen mit ihm erzählt. Es wird ein durchaus fremdschämbarer Moment, in dem der ganze Stolz und die Bewunderung des Regisseurs für Schweiger durchbricht, dass dem der Mund offen stehen bleibt. Er kommt dann aber doch noch auf die Bühne, um den zentralen Satz der Hauptdarstellerin im Film zu wiederholen: "Das Leben lieben, sofort!" Und ganz am Ende nimmt der braungebrannte Filmpfarrer sogar noch beide Hände aus den Taschen und den Vater Frank Pape völlig Corona-verboten in den Arm. Es wirkt, für einen ganz kurzen Moment, beinahe wie ein echter Gefühlsausbruch.

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