Süddeutsche Zeitung

SZenario:Das andere Amerika

Der Schriftsteller T. C. Boyle rockt die Muffathalle mit seinem neuen Roman "Das Licht"

Von Franz Kotteder

Kein schlechter Abend für Thomas Coraghessan Boyle, den man als T. C. Boyle kennt: Die Muffathalle ist mit 800 Menschen gut gefüllt, draußen stehen immer noch Fans, die auf übrig gebliebene Karten hoffen, und gerade verkündet die Dame vom Hanser-Verlag, dass sein neuer Roman "Das Licht" am Samstag auf Platz 1 der deutschen Spiegel-Bestsellerliste stehen wird. Der Saal applaudiert zum ersten Mal an diesem Abend.

Keine Frage, T. C. Boyle hat jede Menge Fans in Deutschland. Seine Lesetour, die am Samstag in Augsburg endet, war überall ausverkauft, an diesem Donnerstagabend in der Muffathalle kann der Autor trotz einer leichten Erkältung also sehr entspannt sein. Die Lesung beschränkt sich auf die ersten Seiten des neuen Romans; es handelt sich dabei um das Vorspiel zur eigentlichen Geschichte, in der es um den inneren Kreis um Timothy Leary geht, den Psychiatrie-Professor aus Cambridge, der zusammen mit Doktoranden und Studenten mit LSD experimentiert. Dem vorgeschaltet ist eine Geschichte um den Schweizer Chemiker Albert Hofmann, der 1943 in Basel LSD entdeckte. "Diesen ersten LSD-Trip überhaupt" schildert Boyle recht lustig mit Hilfe der erfundenen Hofmann-Sekretärin, Fräulein Ramstein. Er verwendet in seinen 17 Romanen gerne fingierte Charaktere aus dem Umkreis charismatischer Persönlichkeiten, sagt er, um zu zeigen, wie Menschen funktionieren und wie sie sich manipulieren lassen.

Die Lesung teilt sich Boyle (in Englisch) mit der Schauspielerin Katja Amberger (auf Deutsch), davor und danach wird er auf offener Bühne vom Münchner Literaturjournalisten und Moderator Günter Keil interviewt. Boyle nutzt die Fragen auch für ironische Einwürfe. Etwa, wenn Keil sagt, man könne es kaum glauben, dass Boyle im Dezember schon 70 geworden sei. Stimmt, sagt Boyle, "ich bin auch erst 36". Überhaupt sei 70 anscheinend das neue 90, denn inzwischen gelte er "als Experte für hohes Alter". Er selbst erinnere sich da nur an seine Studienzeit mit 21, als ihm eine hübsche 26-jährige Kommilitonin "viel zu alt" war. "Inzwischen", sagt er, "denke ich da anders."

Nachdem es in "Das Licht" zwangsläufig viel um Drogen geht, dreht sich auch das Gespräch passagenweise darum. Man lernt, dass Boyle in seiner Hippiezeit in dieser Hinsicht nicht zurückhaltend war, von seiner psychischen Disposition her aber offensichtlich in der Lage, schnell wieder den Absprung zu schaffen. Denn als er ein Stipendium für kreatives Schreiben erhielt, weitab von New York, wo er damals lebte, packte er zusammen mit seiner Freundin sämtliche Sachen nebst Hund und Katzen ins Auto und ließ die Drogen hinter sich, um fortan ein Buch nach dem anderen zu schreiben. 38 sind es inzwischen. Die Freundin aber ist seit 45 Jahren "Frau Boyle". Es macht ihm einen Heidenspaß, diese offenbar sehr innige Beziehung auf der Bühne zu veralbern. Zum Valentinstag, sagt er, habe er ihr "eine sehr romantische E-Mail geschrieben", und er freue sich schon sehr darauf, zu Hause in Santa Barbara "wieder hinter ihr aufzuräumen, denn ihr Lieblingsplatz ist das Sofa".

Weniger spaßig findet er die politische Situation daheim in den USA. Er hoffe auf die Stärke der Demokratie und darauf, "dass diese Gang, die das Land übernommen hat, sehr bald wieder verschwindet". Donald Trump nennt er nur "diesen Clown aus dem Reality-TV, der unser Präsident ist. George Bush war ein Abraham Lincoln im Vergleich zu diesem Kerl." Da erhebt sich wieder begeisterter Applaus, aus dem sich auch die Erleichterung herauslesen lässt, dass es noch ein anderes Amerika gibt.

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Quelle:
SZ vom 16.02.2019
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