SZ-Streitgespräch (1):"Der Wähler will einen starken Staat"

Hans-Peter Uhl (CSU) und Roland Fischer (SPD) diskutieren. Themen sind die innere Sicherheit und die Krise.

Jan Bielicki, Berthold Neff

SZ: Herr Fischer, die CDU/CSU und die FDP verteilen schon die Ministerposten. Haben Sie als SPD-Kandidat überhaupt noch eine reelle Chance?

SZ-Streitgespräch (1): Hans-Peter Uhl (CSU) und Roland Fischer (SPD) streiten über Koalitionen und Arbeitsplätze.

Hans-Peter Uhl (CSU) und Roland Fischer (SPD) streiten über Koalitionen und Arbeitsplätze.

(Foto: Foto: Haas)

Uhl: Einspruch, es werden noch keine Posten verteilt...

Fischer: Sie müssen doch nur nachlesen, was dazu gesagt wurde. Oder stimmt es nicht, dass Herr Guttenberg nächster Finanzminister werden soll?

Uhl: ...denn wer so etwas tun würde, obwohl mindestens 30 oder 40 Prozent der Wähler noch unentschlossen sind, wäre ein politischer Tölpel. Fischer: Wunderbar, dann haben Sie also ein paar Tölpel unter sich. Wir in der SPD sind noch nicht dabei, Ministerposten zu verteilen.

SZ: Wollen Sie die große Koalition nach dem 27. September fortsetzen?

Uhl: Mit meinem SPD-Kollegen Dieter Wiefelspütz habe ich mich in Sachen Sicherheitspolitik bestens verstanden, wir haben bewiesen, dass eine große Koalition produktiv wirken kann. Wir haben als Vertreter von Volksparteien dafür gesorgt, dass der kleine Mann sich auf einen starken Staat stützen kann, der für seine Sicherheit sorgt.

Fischer: Es gab aber auch massenhaft Konflikte, Stichwort Einsatz der Bundeswehr im Innern.

Uhl: Das ist nach wie vor ein Thema. Nehmen Sie das Thema Piraterie, Hansa Stavanger. Da wurde klar, dass wir für solche Fälle nicht richtig aufgestellt sind, da brauchen wir andere Regeln.

Fischer: Und was wären das für Regeln? "Schiffe versenken", von dem Sie sprachen, habe ich gerne in der Schule gespielt, würde es aber ungern auf den Weltmeeren tun.

Uhl: Das ist ganz einfach. Wir haben eine Polizei, die Piraterie bekämpfen darf, es aber nicht kann, und wir haben die Bundeswehr, die es könnte, aber es nicht darf. Man muss Können und Dürfen zusammenbringen, das ist alles.

Fischer: Im Inneren ist es aber etwas anderes als auf den Weltmeeren. Wie halten Sie es mit dem Einsatz der Bundeswehr im Innern? Uhl: Das Grundgesetz besagt, dass die Bundeswehr nur zur Verteidigung eingesetzt werden kann. Das Bedrohungsszenario der nächsten Jahre aber ist nicht, dass russische Panzer über die Elbe rollen. Wir haben jetzt die Bedrohung von einzelnen Aktivisten. Darauf müssen wir die richtigen Antworten finden.

Fischer: Aber wenn wir auf diese behaupteten oder tatsächlichen Bedrohungen so massiv reagieren, was bleibt da noch von der Freiheit des Einzelnen? Überlegen Sie doch mal, was wir nach den weltweiten Anschlägen, so schrecklich sie auch waren, in vorauseilendem Gehorsam an Gesetzen verändert haben, wie wir unsere bürgerlichen Freiheiten abgebaut haben.

Uhl: Da müssen Sie Beispiele nennen.

Fischer: Etwa die Online-Durchsuchung, das BKA-Gesetz, aktuell gerade die Internet-Zensur.

Uhl: Sie wollen sich gegen Gesetze wenden, die wir zusammen mit den Kollegen von der SPD in monatelanger, harter Arbeit zustandegebracht haben?

Fischer: Ich habe ein Problem damit, dass der Staat über die Online-Durchsuchung in meine Wohnung eindringt und auf meine persönlichen Daten zugreift.

Uhl: Haben Sie im Gesetz nachgelesen, wann der Staat von diesem Recht Gebrauch machen kann?

Fischer: Sicher, wenn es Verdachtsmomente gibt. Und wenn ich dann daran denke, wie leicht ein Richter auf die Schnelle sein Einverständnis dazu geben kann, habe ich ein Problem damit.

Uhl: Als erstes muss es der Präsident des Bundeskriminalamts genehmigen, dann prüfen die Richter, ob Sie, durch Tatsachen bewiesen, als terroristischer Gefährder gelten müssen.

Fischer: Glauben Sie wirklich, dass die Sorge der Menschen, immer mehr von ihrer Freiheit einzubüßen, völlig ungerechtfertigt ist?

Uhl: Ihre Vermutung ist falsch, dass die Gefahr besteht, der Staat könnte beliebig auf Ihre Festplatte zugreifen.

"Wir müssen mehr regulieren"

SZ: Die Menschen treiben heute aber auch noch ganz andere Ängste um, etwa die um ihre Arbeitsplätze.

Uhl: Die Menschen erwarten von uns Antworten auf die Weltwirtschaftskrise, die ausgelöst wurde von der ungezügelten Gier weltweit tätiger Akteure. Diese Deregulierung der Finanzmärkte war schon unter Rot-Grün Mode. Nun müssen wir die Dinge wieder ins Lot bringen.

Fischer: Die SPD hat die Konsequenzen daraus viel früher als Ihre Partei gezogen. Als Peer Steinbrück beim G8-Gipfel die nötigen Schritte einleitete, da wusste Ihr Wirtschaftsminister - ich glaube, er hieß Glos - noch gar nicht, dass es eine Krise gab. Wenn ich mir die Wahlprogramme der Union und der FDP anschaue, habe ich den Eindruck des "Weiter so".

Uhl: Das ist plump. Es gibt doch keine Rede von Angela Merkel, in der sie nicht sagt, dass wir gerade jetzt die Krise zur Erneuerung nutzen müssen.

Fischer: Aber sie sagt nicht, wozu.

Uhl: Wir müssen mehr regulieren, wir dürfen dem freien Spiel des brutalen Kapitalismus nicht noch den Weg bereiten.

SZ: Und warum gehen Sie dann ausgerechnet mit der FDP zusammen?

Uhl: Was hat das damit zu tun?

SZ: Die FDP will weniger Staat, weniger Eingriffe und weniger Regulierung.

Uhl: Es würde mich wundern, wenn die Liberalen so einfältig wären. Ich habe aber das FDP-Programm nicht auswendig gelernt.

Fischer: Ich empfehle es Ihnen aber dringend zum Studium, bevor Sie sich auf eine solche Koalition einlassen.

Uhl: Natürlich braucht der Mittelständler als klassischer FDP-Wähler keinen starken Staat, aber der Wähler unserer Partei will einen Staat, der dort reguliert, wo Gefahr droht.

Fischer: Hat sich da auch Ihre Position in Sachen Privatisierung geändert?

Uhl: Ich glaube schon, dass sie in manchen Bereichen sinnvoll ist.

Fischer: Nennen Sie Beispiele.

Uhl: Bei der Bahn bin ich dagegen, das Schienennetz einem Privaten zu übergeben, denn es wurde mit Milliarden Steuergeldern aufgebaut. Etwas anderes ist es, wenn man Private eine Autobahn bauen lässt und es mit einem Teil der Mautgebühren bezahlt.

Fischer: Es wird dadurch aber für den Steuerzahler nicht billiger. Ich finde, wenn der Staat kein Geld hat, sollte er sparsamer damit umgehen.

"Wir werden die Ungerechtigkeiten beseitigen"

SZ: Oder es einsetzen, damit neue Arbeitsplätze entstehen. Was sagen Sie den Leuten, die Angst um ihre Jobs haben?

Fischer: Wir müssen unsere sozialen Sicherungsnetze stark halten oder gar ausbauen. Und der Staat muss für den Erhalt von Arbeitsplätzen genauso viel Geld ausgeben wie für die Banken da war. Es wäre dringend erforderlich, gegen Banken vorzugehen, die sich weigern, Kredite zu vergeben.

Uhl: Es wurde sehr viel Geld ausgegeben, um die Effekte der Krise zu mindern. Von der SPD habe ich übrigens nie die Frage gehört: Haben wir eigentlich diese Milliarden? Ich habe nicht gehört, dass ein SPD-Politiker gefragt hätte, woher die fünf Milliarden Euro für die Abwrackprämie kommen sollen. Die Wahrheit ist, dass wir das Geld gar nicht haben, was da ausgegeben wurde, sondern dass wir uns dafür verschulden.

Fischer: Warum schreien Sie dann nach Steuerentlastungen?

Uhl: Weil die mindestens so nützlich sein können wie eine Abwrackprämie.

Fischer: Wir haben die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert, Sie wollen trotzdem Steuern senken, obwohl der Staat schon Mehrausgaben leisten muss. Kann es sein, dass Sie Geld, das wir nicht haben, mehrmals ausgeben wollen?

Uhl: Das Geld ist weder für das eine noch für das andere da, deshalb muss man sich entscheiden, ob und wofür man Schulden macht.

Fischer: Aber wie wollen Sie jetzt auch noch Steuern senken?

Uhl: So wie wir die Abwrackprämie finanziert haben. Einen Zeitpunkt und eine bestimmte Größenordnung können wir noch nicht nennen, aber es geht darum, Impulse für Wachstum zu geben und bestimmte Ungerechtigkeiten im Steuersystem abzubauen.

Fischer: Die Schere zwischen Arm und Reich ist in den letzten Jahren dramatisch auseinandergegangen. Und weil breite Schultern mehr tragen können und müssen als schmale, brauchen wir die Vermögenssteuer dringend.

Uhl: Nehmen Sie die Erbschaftssteuer. Sie haben ein Reihenhaus etwa in Gern, acht Meter breit, das kostet bis zu 1,8 Millionen Euro. Sie haben es geschafft, die Schulden abzuzahlen, dann tritt der Erbfall ein. Sie sind kinderlos, aber es gibt einen Neffen oder eine Nichte, die sich um Sie kümmern. Auf Forderung der SPD werden Nichten und Neffen laut Gesetz als Fremde behandelt, es fällt eine enorme Erbschaftssteuer an...

Fischer: ... die erst in gewissen Fristen zu bezahlen ist.

Uhl: Wir werden diese Ungerechtigkeit in der neuen Koalition beseitigen.

Fischer: Sie wollen also die Erbschaftssteuer abschaffen?

Uhl: Bestimmte Ungerechtigkeiten, die gerade in Städten wie München mit den hohen Immobilienpreisen auftreten.

SZ: Man könnte dann ja auch die Regelsätze von Hartz-IV regional anpassen, für teure Gegenden also erhöhen?

Uhl: Eine so starke Differenzierung wäre typisch deutsch und hätte einen hohen bürokratischen Aufwand zur Folge.

"Wir müssen unsere Wirtschaft umbauen"

SZ: Kann so etwas wie Vollbeschäftigung noch erreicht werden?

Uhl: Es wird immer einen gewissen Prozentsatz Menschen geben, die nur für einfache Arbeiten in Frage kommen. Deren Lohn ist kaum höher als Hartz IV. Der von der SPD geforderte Mindestlohn kann da keine Lösung sein. Wir müssen diese Löhne mit Steuergeld aufstocken.

Fischer: Der Staat soll also Unternehmen finanzieren, die es sich leisten, Löhne zu zahlen, die zum Himmel stinken? Da gibt es Luxushotels, in denen die Zimmermädchen 3,50 Euro pro Stunde bekommen. Den Rest zum menschenwürdigen Lohn soll dann der Staat zahlen? Da wäre ein Mindestlohn doch viel besser.

Uhl: Arbeiten auf den Baustellen dann nur noch Leute, die den Mindestlohn bezahlt bekommen?

SZ: Gerade auf dem Bau gibt es den Mindestlohn ja schon.

Fischer: Er ist Grundlage für die Kontrollen, die verstärkt werden müssen.

SZ: Der SPD-Spitzenkandidat verspricht vier Millionen neue Arbeitsplätze. Halten Sie das für realistisch?

Fischer: Ich halte es für machbar. Wir müssen unsere Wirtschaft umbauen, denn eine soziale Marktwirtschaft, wie sie unsere Väter aufgebaut haben, gibt es nicht mehr. Es darf nicht sein, dass die Aktienkurse steigen, wenn Entlassungen verkündet werden.

Uhl: Das Ziel ist richtig. Das Vorbild ist der Mittelstand. Da führt kein Vorstand den Betrieb, der wie ein Söldner heute hier und morgen dort ist, sondern der sozial verantwortliche Inhaber.

SZ: Welches bundespolitische Thema wird für die Menschen im Münchner Westen demnächst ebenfalls wichtig sein?

Uhl: Das nationale Vorhaben der Bewerbung für die Olympischen Winterspiele 2018. Ich habe in diesem Jahr sehr viele Gespräche geführt, damit wir vorankommen, denn einige Grundstücke sind im Eigentum des Bundes. Die Spiele würden München und gerade auch den Westen ein gutes Stück voranbringen.

SZ: Und mit Olympia würde sich auch die dritte Start- und Landebahn lohnen?

Fischer: Für das kurzzeitig erhöhte Flugaufkommen während der Spiele sicher nicht. Ich bin höchst skeptisch, ob wir sie brauchen. Wenn die neuesten Zahlen vorliegen, kann man darüber fundiert entscheiden. Für den Münchner Westen ist aber wichtiger, dass der Flugverkehr aus Oberpfaffenhofen eingedämmt wird.

Uhl: Dafür hat die bayerische Staatsregierung schon gesorgt. FDP-Wirtschaftsminister Martin Zeil wohnt übrigens unweit des Geschäftsflughafens.

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