Tiere:Mauereidechsen an der Großmarkthalle: Das Leben im Paradies

Tiere: Heinz Sedlmeier vom Landesbund für Vogelschutz zeigt das Habitat für die Eidechsen auf dem Großmarktgelände.

Heinz Sedlmeier vom Landesbund für Vogelschutz zeigt das Habitat für die Eidechsen auf dem Großmarktgelände.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die Mauereidechsen haben auf dem Gelände der Großmarkthalle ein eigenes Habitat bekommen. Zu diesem Glück mussten Biologen die Kriechtiere allerdings mit einem Trick etwas zwingen.

Von Franziska Gerlach

Ein Garten mit Wildblumen und mediterranen Kräutern, eine Sonnenterrasse in exponierter Lage, und sollte es dort zu nass oder schlichtweg zu ungemütlich werden, kann man sich jederzeit in ein hübsches Refugium aus Natursteinen zurückziehen. Sagen wir es so: Als Eidechse lebt es sich in München ziemlich komfortabel, zumal seit den Tieren vor vier Jahren auf dem Gelände der Großmarkthalle ein eigenes Habitat eingerichtet wurde. Auf 8000 Quadratmetern.

In den Neunzigerjahren in Obstkisten aus Italien eingeschleppt, waren die Mauereidechsen offenbar schon bald recht angetan von ihrer neuen Heimat Sendling, von dem Schotter und den alten Gleisen des alten Südbahnhofs, unter denen es sich prima verstecken lässt. So wohl fühlten sich die rund 20 Zentimeter langen Reptilien mit dem bräunlich schimmernden Schuppenkleid, dass sie sich eifrig vermehrten. Inzwischen leben einige Tausend auf dem Gelände der Großmarkthalle und des ehemaligen Südbahnhofs, die meisten von ihnen befänden sich in ihrem Habitat, sagt Heinz Sedlmeier, Geschäftsführer der Münchner Kreisgruppe im Landesbund für Vogelschutz.

Der Biologe, der sich um den Schutz von Reptilien und Amphibien kümmert, hat die Eidechsen im Jahr 2003 am alten Südbahnhof entdeckt, ein am Schlachthof beschäftigter Ornithologe habe aber später darauf hingewiesen, dass die Tiere schon viel länger da seien. Eine ganze Weile lebten die Kriechtiere friedlich vor sich hin. Als dann aber eine neue Halle auf dem Gelände der Großmarkthalle errichtet werden sollte, vertrug sich das Bauvorhaben nicht mit der Existenz der in Europa streng geschützten Mauereidechsen - also bekamen diese nach einigem Hin und Her ihr eigenes Gehege. Das Areal am Rande des Geländes ist freilich nicht hermetisch abgeriegelt. Steht den Kriechern der Sinn nach Ausflügen in die nähere Umgebung, schlüpfen sie einfach durch den Gitterzaun. Und gegen eine Jagd nach Ameisen - welche die Mauereidechsen ab und an gerne naschen - auf dem Ast eines schlanken Laubbaumes am Eingang zum Habitat ist auch nichts einzuwenden. Natürliche Feinde? Gibt es kaum. Katzen verirren sich nur selten auf das Gelände, und der nachtaktive Marder hat einen anderen Rhythmus als die sonnenhungrigen Eidechsen.

Wenn es so heiß ist wie in diesen Sommertagen, flitzen die meisten Tiere am liebsten zwischen den Steinen umher. Heinz Sedlmeier blickt in den wolkenlosen Himmel hinauf. Halb zehn Uhr morgens, 30 Grad, ein perfekter Münchner Eidechsentag. "Da sind die schon extrem aktiv", sagt der Naturschützer. Normalerweise müssten sich die Tiere erst aufwärmen, anders als der Mensch hätten die Eidechsen ja keinen geschlossenen Blutkreislauf. "Und wenn es ganz kalt ist, können sie sich überhaupt nicht bewegen."

Tiere: Wundervoll, diese Hitze: An warmen Sommertagen sind die Eidechsen in ihrem Gehege besonders aktiv.

Wundervoll, diese Hitze: An warmen Sommertagen sind die Eidechsen in ihrem Gehege besonders aktiv.

(Foto: Stephan Rumpf)

Bei der großen Umsiedelung der Kriechtiere in das neue Habitat half den Großmarkthallen wiederum der Biologe Ralf Schreiber. Denn wie das nun einmal so ist bei zwangsverordneten Umzügen, sehen die Betroffenen selbst oft keinen Anlass, sich vom Fleck zu bewegen. Also wandten der Biologe und seine Studenten einen Trick an: Sie deckten die von den Eidechsen geliebten Gleise mit Plastikplanen ab, so dass es den Tieren darunter zu heiß wurde, erzählt Brigitte Schneider von der Großmarkthalle, die als Architektin die Anlage des Habitats betreut hat. Eingefangen wurden die Tiere mit einer Art Angel, an der Spitze mit einer Schlinge anstelle eines Hakens ausgestattet. Sofort nachdem die Eidechsen den Schotter verlassen hatten, ließ man die Bereiche zwischen den Gleisen ausbaggern und mit Kies verdichten. Damit die Kriechtiere nicht dorthin zurückkehrten, wurde ihr einstiges Zuhause unattraktiv gemacht.

Ein schlechter Tausch war das für die Tiere sicher nicht. Man muss sich ja nur einmal umsehen: Drahtkästen mit Steinen darin wurden aufgestellt, ein Gärtner schneidet regelmäßig die Pflanzen nach, damit die Fläche nicht verschattet, und in einem mannshohen Sandberg können die Eidechsen ihre Eier ablegen. "Da ist eine Kleine!", ruft Sedlmeier plötzlich und deutet auf eine Eidechse, die zwischen den Steinen umher wuselt. Sechs Wochen beträgt die Brutzeit. Weil es heuer schon im April ungewöhnlich warm gewesen sei, hält der Experte vom Landesbund für Vogelschutz es durchaus für möglich, dass die Münchner Eidechsen in diesem Jahr sogar zwei Mal Nachwuchs produzieren. Inzwischen sei die Mauereidechse sogar in Feldkirchen im östlichen Landkreis München gesichtet worden, erzählt Sedlmeier, obwohl man diese Ecke ursprünglich für zu kalt gehalten habe. Aber es werde hierzulande eben immer wärmer. "Und dadurch breiten die Tiere sich aus."

Die Mauereidechse ist europaweit geschützt, daran gibt es nichts zu deuteln. Der Fall der Münchner Kriecher liegt inzwischen aber anders: Genetische Untersuchungen von Speichelproben haben nämlich ergeben, dass sich die verschiedenen Unterarten "etwas gemischt" haben, wie Sedlmeier erklärt. Da sich die Tiere in ihrem Habitat überdies nicht in ihrem "natürlichen Verbreitungsgebiet" befänden, sei die Rechtslage mittlerweile zweideutig. So gern man sie auch hat in Sendling: Dieses "besonders scharfe europäische Schutzsystem" gelte für die Eidechsen der Großmarkthalle wohl nicht mehr.

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