SZ-Serie "Wie Fahnder heute arbeiten", Folge 4:Ein Netz für alle Fälle

Alle Polizeieinheiten und Rettungskräfte sollen künftig digital funken. Die Umstellung läuft, organisiert wird sie vom Landeskriminalamt. Seine Feuerprobe hat das neue System vor einem Jahr bestanden - beim G-7-Gipfel

Von Isabel Meixner

Ob der G-7-Gipfel auf Schloss Elmau genauso verlaufen wäre wie 2015, hätte er schon zehn Jahre zuvor stattgefunden? Sicherlich nicht. Nicht nur, weil die Politiker andere gewesen wären: Auch die Polizei hätte ein Ereignis dieser Größenordnung an die Grenzen gebracht. Oder, wie Kriminalhauptkommissar Michael Zwirlein vom Bayerischen Landeskriminalamt (LKA) sagt: "Elmau hat alle Dimensionen gesprengt. Das wäre analog gar nicht machbar gewesen."

Was Zwirlein meint, erklärt Johann Skwara, leitender Kriminaldirektor beim LKA: Beim G-7-Gipfel funkte die Polizei erstmals bei einem Großereignis digital. Der Freistaat hat zwar schon vor Jahren damit begonnen, ein digitales Funknetz aufzubauen, aber die Feuerwehren, Rettungsdienste, die Bergwacht, der Zoll, die Einheiten vom Technischen Hilfswerk und der Polizei sind bis heute nicht komplett umgestellt. In manchen Gebieten würden die Organisationen im Notfall also nach wie vor in eigenen, räumlich begrenzten Netzen kommunizieren, die schlimmstenfalls das Krisengebiet nicht sonderlich gut abdecken. Zumindest die bayerische Polizei soll bis zum Sommer komplett auf Digitalfunk umgestellt werden. Die anderen Institutionen folgen später. Der Digitalfunk war also noch nicht flächendeckend eingeführt, als Johann Skwara zustimmte, ihn beim G-7-Gipfel zu nutzen. Das Ergebnis sollte ihm recht geben: Die neue Technik ermöglichte es nicht nur, alle Einsatzkräfte über ein bundesweit einheitliches System zu koordinieren. Auch war es möglich, in Spitzenzeiten bis zu 7500 Geräte am Netz und dennoch deutlich weniger Wartezeiten zu haben, bis eine Verbindung zustande kam. Warum? Im Analogfunk gibt es etwa 110 verschiedene Kanäle, die einer bestimmten Behörde zugeordnet sind und auch dann eine Frequenz beanspruchen, wenn auf ihnen gar nicht gesprochen wird. Diese Kanäle können selbst bei Engpässen nicht von anderen genutzt werden. Bei der Eröffnung der Europäischen Zentralbank in Frankfurt vor einem Jahr habe das zu Funk-Wartezeiten von bis zu einer Dreiviertelstunde geführt, berichten die Beamten vom LKA. Randalierer zündeten Autos an und lieferten sich Straßenschlachten mit der überfordert wirkenden Polizei.

Beim Digitalfunk dagegen sind Kanäle nur belegt, wenn sie auch genutzt werden. Auch können private Einzelgespräche zwischen den Helfern unterbunden werden, um die Zahl der Verbindungen zu reduzieren. Maximal zwei bis drei Sekunden habe man während des G-7-Gipfels warten müssen, um eine Funkverbindung zu bekommen, sagt Skwara: "Der Digitalfunk hat seine Feuerprobe bestanden."

Das Landeskriminalamt ist dafür zuständig, das Netz für den Digitalfunk zu betreiben und die 900 Basisstationen in Bayern zu überwachen. Das geschieht von der Leitstelle im LKA an der Maillingerstraße aus. Sechs Monitore liefern den Polizisten einen Überblick über Fernsehnachrichten, Einsatzlagen, die Basisstationen und die Wetterkarte, um auf Stürme oder andere Wetterkapriolen vorbereitet zu sein. An einem normalen Tag sitzen hier drei bis vier Personen, nachts sind es zwei.

Während des G-7-Gipfels sah das anders aus. "Da war hier drin ein Ameisenhaufen", erinnert sich Michael Zwirlein. 80 Personen überwachten den Großeinsatz rund um die Uhr, um im Notfall sofort handeln zu können. Wie in dem Moment, als ein Blitz in eine der fünf Basisstationen am Herzogstand einschlug, über die das LKA den Funkverkehr laufen ließ. In solchen Fällen wird sofort jemand losgeschickt, der die Anlage wartet. In den Bergen bringt ihn die Bergwacht dorthin. "Darum beneidet uns jeder Handyanbieter", sagt Skwara.

Informieren per Facebook

Nicht nur im Bereich Digitalfunk betritt das Bayerische Landeskriminalamt (LKA) Neuland, sondern auch bei Facebook: Seit Mitte April hat das LKA eine eigene Seite online, auf der es sich und seine Arbeit darstellen will. Oder sich in manchen Fällen einem Sturm aussetzt. Wie am 10. Mai, als ein psychisch verwirrter Einzeltäter mit einem Messer vier Menschen in Grafing-Bahnhof angriff und einen davon tötete. Das LKA berichtete über den Stand seiner Ermittlungen, ging auf Fragen ein, stellte sogar ein Video der Pressekonferenz ins Netz. Dennoch: Einigen Nutzern war das nicht transparent genug, sie warfen dem LKA vor, Dinge zu verheimlichen, und stellten falsche Behauptungen über den Täter auf. Die Beiträge gingen so weit, dass sich das Landeskriminalamt sogar aufgerufen fühlte zu betonen: "Wir dulden keine Beleidigungen und hetzerischen Kommentare! Diese Facebook-Seite dient der Information und ist keine Plattform für unsachliche Diskussionen." Stephanie Wossilus steckt hinter dieser Nachricht. Sie ist seit zwölf Jahren beim LKA tätig, erst in der Kriminalprävention, dann im Bereich Cyber-Crime. Die Kommentare im Zusammenhang mit Grafing waren heftig, aber eine Ausnahme. Meistens geht es entspannter zu auf der Seite, etwa wenn auf den Tag der offenen Tür am 11. Juni hingewiesen wird oder Informationen darüber verteilt werden, wie man sich vor Internet-Kriminalität schützen kann. Auch Fahndungsaufrufe werden über den Account geteilt. Wossilus hat sich bereit erklärt, Facebook zu betreuen, weil sie auch die Menschen ansprechen will, die sie und ihre Kollegen über klassische Medien nicht erreichen. "Den größten Fehler, den wir machen können, ist, wenn wir uns hinter unsere Mauern zurückziehen und nicht kommunizieren", findet sie. Natürlich muss es dabei nicht immer nur ernst zugehen. Kürzlich erst, am Tag des Grundgesetzes und des Welt-Schildkröten-Tages, postete das LKA ein Foto mit dem Text "Emil und das Grundgesetz - beide haben heute einen Ehrentag". Albern? Vielleicht doch ein bisschen tiefgründiger, als es auf den ersten Blick wirkt. Denn nicht nur die Schildkröte, auch die Grundrechte bräuchten Schutz, schreibt Wossilus. Ein wichtiger Hinwies - nicht nur für die Kommentarspaltenpöbler nach Grafing. imei

Er weiß trotz aller Vorteile, die er in der neuen Technik sieht, dass sie nicht unumstritten ist. Kritiker befürchten, dass die Tetra-Funkmasten schädlich für die Gesundheit sind, andere kritisieren hohe Kosten oder stellen die Sinnhaftigkeit der gesamten Umstellung infrage. Skwara hält dagegen: Der Digitalfunk sei abhörsicher, "keine Privatperson, nicht mal ein Nerd" könne die verschlüsselte Kommunikation knacken. Das war zu analogen Zeiten nicht der Fall: Teilweise hörten sogar Einbrecher die Funkgespräche der Polizei ab, um ihre Komplizen zu warnen, sobald ein Einbruch durchgegeben wurde. Nicht zu vergessen, dass Unbeteiligte Namen oder Adressen etwa von Opfern von Gewalttaten erhalten konnten. Auch sei die Netzabdeckung mit 98 Prozent Bayerns deutlich besser als früher, betont Skwara. Eine Basisstation falle statistisch gesehen 14 Sekunden pro Jahr aus, "das ist praktisch nichts". Problematischer sind allerdings die verbleibenden weißen Flecken auf der Landkarte: Beispielsweise kann im gesamten Münchner U-Bahn-Bereich nicht digital gefunkt werden. In den Betonröhren müssen eigens Signalverstärker eingebaut werden, das kostet Millionen. Daher wird mit dem Einbau eher gewartet, bis in den Tunnels ohnehin Bauarbeiten anstehen. So lange muss die Polizei dort noch analog funken, ein Umstand, der Skwara ärgert. Man habe eine miserable Sprachqualität. "Damit kann man nicht zufrieden sein."

Immerhin: Andere Funklöcher hat die Politik inzwischen gestopft. So wurden in den Münchner Straßen-Tunnels die Signalverstärker bereits eingebaut. Und wenn noch andere weiße Flecken etwa im Bayerischen Wald verschwinden, wären Zustände wie während des G-7-Gipfels Alltag für Rettungskräfte und Polizei. Zumindest bei der Kommunikation.

Bei einem Tag der offenen Tür lassen sich die Polizisten des Landeskriminalamts am kommenden Samstag, 11. Juni, über die Schulter schauen - und zwar von 10 bis 16 Uhr an der Maillingerstraße 15. Von 15 bis 20 Uhr ist auf dem Gelände auch ein Biergarten geöffnet. In der nächsten Folge der SZ-Serie lesen Sie am Donnerstag: die internen Ermittler

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