Süddeutsche Zeitung

Gentrifizierung in München:Von der Rendite überrollt

In immer schnellerem Tempo bauen Investoren die Stadt München mit teuren Wohnungen und edlen Läden zu. Was macht das mit den Menschen?

Von Thomas Kronewiter

Eigentlich ist dieser Blick über die Blechdächer der Maxvorstadt unbezahlbar. Werner Stadler kostet er im Monat zwölf Euro, pro Quadratmeter wohlgemerkt, und er weiß, dass er damit unverschämtes Glück hat. Außerdem profitiert der 68-Jährige von einer Art umgekehrter Treueprämie, denn er wohnt seit 41 Jahren in dem Haus an der Schellingstraße. Würde seine Wohnung jetzt neu vermietet, sagt er, "könnte ich sie mir nicht mehr leisten".

Doch ein Umzug, raus aus seinem Viertel, in dem er fast jeden kennt, wo etwas los ist, wenn er den Fuß nur auf die Straße setzt, kommt nicht in Frage - obwohl ihm die schleichenden Veränderungen rund ums Wohnhaus zu schaffen machen. Veränderungen, die längst im Nachbarhaus, im nächsten Hof mit dem früher idyllischen Teich, im einstigen Lieblingsladen angekommen sind.

So wie bei dem Geschäft mit den balinesischen Holzmöbeln. "Leer, weg", sagt Stadler. Ganz plötzlich. "Und die sind sicher nicht weggezogen, weil die Leute nichts gekauft haben." Nun sind vier Schaufenster leer an der Schellingstraße, vermutlich weil der Ladenbesitzer mit seinen Möbeln die Kosten nicht mehr erwirtschaften konnte. Im übernächsten Haus gab es lange eine Apotheke, Lebensgrundlage von zwei "ganz alten Leuten". Seit die ihre Apotheke zugemacht hätten, sei in dem Gebäude im Erdgeschoss ein ständiger Wechsel. Ein paar Monate hält es ein Existenzgründer mit seinem Kleiderladen aus, dann versucht es wieder ein Gastronom.

"Münchens sturster Mieter" war eines der ersten Gentrifizierungsopfer

Es sind die Dynamik und das Ausmaß des Wandels, die viele Münchner umtreiben. Dass München teuer ist, wussten schon die Studenten in den Achtziger- und Neunzigerjahren. Welche Dimension die Immobilienspekulation annehmen würde, wurde aber schlagartig vor elfeinhalb Jahren deutlich. Damals berichtete die Presse über "Münchens stursten Mieter", den letzten Bewohner vom "Rattenhaus am Dom". Als Thomas U. kurz nach Weihnachten 2003 als allerletzter Bewohner aus dem Gebäude an der Mazaristraße 1 tatsächlich auszog, tat er das als ein frühes Opfer der Gentrifizierung.

Freilich zeigte U.s Fall auch, wie weit das Immobiliengeschäft damals schon gediehen war. Denn damit er auszog, zahlte ihm der Projektentwickler 200 000 Euro - zu einem Zeitpunkt, als der 1964 von einer britischen Soziologin geprägte Begriff der Gentrifizierung hierzulande allenfalls für Berliner Phänomene gebräuchlich war. Heute ist die kleine Mazaristraße nicht einmal mehr Wohnadresse - alle Gebäude schmücken sich nach vorne oder hinten mit dem 1a-Lage-Namen Kaufingerstraße oder zumindest mit Frauenplatz.

In München wird gebaut, abgerissen, saniert, nachverdichtet, was nur geht. Nachbarn wissen nicht, wie ihnen geschieht, das Tempo ist ungeheuer. Eben noch Traditionshaus, im nächsten Moment Renditeobjekt: Beispiele gibt es noch und noch. Die alte Post an der Münchner Freiheit ist einem gesichtslosen Geschäftshaus gewichen. Zugunsten des Plans, eine Synagoge für die liberale jüdische Gemeinde zu errichten, hat man eine grüne Ecke am Gries im Lehel ins Auge gefasst. Der Biergarten Tannengarten und die Kneipe Spektakel in Sendling wurden gerade noch einmal gerettet, nicht zuletzt dank einer kraftvollen Bürgerbewegung.

Nicht von ungefähr hat der Abriss der Schwabinger Sieben - eigentlich eine unauffällige Barackenkneipe - eine so große Solidarisierungsbewegung ausgelöst. Die Kneipe musste Luxuswohnungen in bester Lage weichen - wenngleich der nun auch im Erdgeschoss gerade fertig werdende Block ästhetisch wesentlich ansprechender eine früher hässliche Baulücke schließt. Das Wohnen in dem Gebäude aber kommt teuer. Als die SZ den Preis von 2,37 Millionen Euro für eine Vier-Zimmer-Erdgeschoss-Wohnung veröffentlichte, blieb das unwidersprochen.

Gegenüber sind schon 2004 teure Apartments entstanden. Rückblickend war es damals fast noch ein Billigangebot, als Peter Wasner die Penthouse-Wohnung seines Renommierprojekts Feilitzschhöfe auf dem ehemaligen Schwabinger E-Werke-Gelände der Stadtwerke, nur wenige Schritte von der Münchner Freiheit entfernt, für knapp zwei Millionen Euro anbot. Dafür völlig unmöbliert, ohne Böden und ohne Wandgestaltung.

Käufer derartiger, knapp 300 Quadratmeter großer Apartments mit zwei Dachterrassen und unverbaubarem Blick auf die Altstadt-Silhouette wollten, so erläuterte der Eiwobau-Chef damals beim Lokaltermin, ihr Wohnumfeld selbst gestalten, bis zur Fliese an der Wand und dem Belag auf dem Boden. Und sie wollen absolute Diskretion, wofür der schlüsselgesicherte Direktaufzug in die Tiefgarage sorgt. Selbstverständlich schirmen die Dachterrasse trotz der Penthouse-Lage heute zwei Meter hohe Hecken ab.

Das hat nichts mehr mit dem zu tun, was OB Christian Ude vor Jahren mit dem wohnungspolitischen Handlungsprogramm zur Chefsache erklärt hat. Wohnungen wie an der Feilitzschstraße, im ehemaligen Heizkraftwerk "The Seven", in den Lenbach-Gärten oder dem Isar-Palais kauft oder mietet nicht einmal mehr der gehobene Mittelständler.

Der Maxvorstädter Werner Stadler kennt einen Opern-Fotografen, der mit seiner Lebensgefährtin in der City verzweifelt eine Wohnung sucht. "Da ist nicht das Finanzielle das Problem." Die Zukunft, glaubte er, werde eher noch härter für Leute, die innenstadtnah leben wollten. "Selbst Wohnungen mit großen Mängeln ziehen Interessenten an."

Wer will noch in einer Stadt wie München leben?

Der Trend zur Abschottung ist ein anderes Phänomen, das es früher so nicht gab an der Isar, inzwischen wird es kräftig vermarktet. Die 150 Wohnungen am Fuße des Olympiabergs, Winzererstraße 115 bis 129, waren die erste sogenannte "gated Community" - also ein ganzes Quartier, das für Besucher erst einmal am verschlossenen Eingangstor endet. Die hübsch inszenierte Wasserbecken dahinter kann man nur durch den schmiedeeisernen Zaun sehen. Nun gibt es mehr solcher abgeschlossener Bereiche: Im Foyer des Wohnturms "The Seven" sitzt eine Concierge, ebenso wie im Max-Palais der Lenbach-Gärten, das zudem Anschluss an den Hotelservice von "The Charles" hat.

Während die Entwicklung auf dem Wohnungssektor ihren Weg geht, bleibt die damit einhergehende schleichende Vernichtung privater Rückzugsflächen, halböffentlicher und öffentlicher Grünzüge nicht unbemerkt. Im Olympischen Dorf wachen die Bewohner eifersüchtig über jede Veränderung des Parks vor ihrer Haustür - sie haben aber auch in den vergangenen Jahren ein Dutzend Eingriffe in die Parklandschaft miterlebt und dokumentiert - von temporären Veränderungen, etwa für die X-Games oder Munich Mash, bis hin zum Sea Life Center und dem Coubertin-Restaurant. Wie mag das weitergehen?

Wer will noch in einer Stadt leben, die immer mehr zugebaut, nachverdichtet, luxussaniert, segmentiert wird?

In seinem Mikrokosmos erlebt diese Entwicklung gerade hautnah Werner Stadler. Gerade erst hat er, SPD-Fraktionsmitglied im Bezirksausschuss Maxvorstadt, selbst dem Neubau eines Wohnhauses im benachbarten Innenhof zustimmen müssen. Die Auswahl, sagt er, habe darin bestanden, für einen schmaleren oder einen etwas breiteren Durchgang zu votieren. Baurecht eben.

Noch befindet sich der Flachbau eines Lebensmitteldiscounters dort, wo ein mehrgeschossiges Wohnhaus entstehen soll - wenn das realisiert wird, ist es für die meisten Mieter im Haus von Werner Stadler und in den Nachbargebäuden vorbei mit dem freien Blick aus dem Fenster. Er selbst könnte glimpflich davon kommen, in seiner 120-Quadratmeter-Wohnung im obersten, dem sechsten Stock. Zumindest bis seine Wohnung vielleicht einmal den Eigentümer wechselt, und der Vermieter dann die Mietpreisschraube anzieht.

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Quelle:
SZ vom 23.06.2015/tba
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