SZ-Serie: ÜberLeben:Neustart

SZ-Serie: ÜberLeben: Stück für Stück hat sich Alexander Donnelly aus der Drogensucht herausgekämpft. Heute engagiert er sich bei der Drogenhilfe.

Stück für Stück hat sich Alexander Donnelly aus der Drogensucht herausgekämpft. Heute engagiert er sich bei der Drogenhilfe.

(Foto: Stephan Rumpf)

Alexander Donnelly spritzt sich mit 16 das erste Mal Koks, später gerät er an Heroin. Viele Junkies sterben - er ist seit zwei Jahren clean

Protokoll von Lars Langenau

Seinen ersten Joint hat Alexander Donnelly mit zwölf geraucht. Mit 15 schmiss er die ersten LSD-Trips, mit 16 kam Koks dazu, mit 17 oder 18 Heroin. Jetzt ist er 45 Jahre alt und seit zwei Jahren clean. Hier erzählt er, wie er abhängig wurde - und es jetzt geschafft hat zu überleben.

"An glückliche Zeiten in meiner Kindheit kann ich mich kaum erinnern. Meine Mutter war oft vollkommen überfordert. Sie ist mit 15 Jahren zum ersten Mal Mutter geworden. Sie war sehr labil, hatte ein schweres Alkoholproblem und verließ uns, als ich zehn Jahre alt war. Etwa ein Jahr später stand sie wieder vor unserer Tür. Kurz darauf erlitt sie jedoch einen Hirnschlag, fiel ins Koma und starb. Da war ich elf.

Mein Vater zog uns drei Kinder alleine groß. Es war jedoch eine befremdliche Welt. Voller Tabus. Selbst der Tod meiner Mutter wurde totgeschwiegen. Nachdem mein Vater gestorben war, habe ich ihm während einer Psychotherapie einen Brief geschrieben und ihm das große Schweigen verzeihen können. Auf seine Art hat er wohl alles versucht, das Beste für uns zu machen. Hat halt nicht ganz so geklappt.

Als ich zwölf war, starb meine ältere Halbschwester an einer Überdosis Heroin. Auch mein Halbbruder war drogenabhängig, ist aber inzwischen seit zwölf Jahren clean. Meinen ersten Joint habe ich mit zwölf geraucht. Jetzt bin ich 45 und habe bis vor zwei Jahren durchgekifft. Am Schluss habe ich 20 Joints täglich geraucht. Etwa 600 Euro habe ich im Monat für Haschisch ausgegeben. Mit 15 habe ich dann die ersten LSD-Trips geschmissen, mit 16 kam Koks dazu, das ich gleich gespritzt habe. Im Anschluss habe ich so ziemlich alles durchprobiert, mit 17 oder 18 kam Heroin dazu. Wenn man sich einmal das Zeug in die Venen haut, verliert man schnell die Hemmungen. Ich wollte wohl einfach die traumatischen Erlebnisse meiner Kindheit damit verdrängen. Ich sah das Heroin als medizinische Hilfe, das mir die Flucht in eine andere Welt, aus der Realität, ermöglichte.

Oft war ich in manischen Phasen anfällig, wenn es mir gut ging. Dann wollte ich das noch mit Drogen toppen. Allerdings war ich nie konstant auf Heroin, sondern habe mich immer wieder selbst entgiftet. Zuhause. Allein. Mit all den Nebenwirkungen des kalten Entzugs. Körperlich dauert das nur fünf bis sechs Tage, aber der Kopf spielt eine große Rolle. Ich war dann immer mal wieder ein halbes bis ein ganzes Jahr clean.

Schön war das schon lange nicht mehr. Da ich keine Venen mehr im Arm finden konnte, habe ich mir immer in irgendeiner Bude in die Leiste und in den Hals gespritzt. Irgendwann habe ich mich über mich selbst geekelt: kantig, runtergekommen, ziemlich abgemagert. Ein klassischer Junkie. Mit 20 Jahren zog ich mir Hepatitis zu - erst nach der Geburt meines ersten Sohnes konnte ich geheilt werden.

Ich habe Einzelhandelskaufmann gelernt, bin aber im zweiten Lehrjahr wegen Drogenkonsum und -handel wieder rausgeflogen. Danach war ich mal Futon-Knüpfer, Tennisplatzwart, Lagerist, stand hinter der Hotel-Bar. Alles nur Gelegenheitsjobs. Eine Zeitlang zog ich nach England und war nach meiner Rückkehr wegen Diebstahls, Drogenhandels und Drogenbesitzes 16 Monate eingesperrt. Mit Ende 20 heiratete ich eine Australierin, bin mit in ihre Heimat - und habe ihren Nachnamen angenommen. Nach drei Jahren bin ich ausgewiesen worden, weil unsere Ehe gescheitert war und ich keine Arbeit fand.

Vor zehn Jahren, zurück in Deutschland, verlor ich meine Wohnung. Kurz vorher hatte ich von meiner Oma 50 000 Euro geerbt. Das habe ich restlos verkokst. Ich kam in einem Obdachlosenwohnheim unter: Vier-Bett-Zimmer mit zwei Alkis und noch einem Junkie. Furchtbar. Zu dieser Zeit habe ich mich erstmals substituieren lassen.

Bis auf eine Ausnahme war ich immer mit Frauen zusammen, die abstinent waren. Sie waren ein Anker, konnten mich aber trotzdem nicht retten. Mit meiner jetzigen Freundin bin ich seit mehr als siebeneinhalb Jahren zusammen. Sie hat mal ein Konzert von mir besucht, ich habe mich nach dem Gig mit ihr unterhalten. Später sagte sie mir, dass sie sich in meine Stimme verliebt hatte.

Doch wegen meiner Drogensucht war die Beziehung eigentlich schon mal kaputt. Ich war oft völlig weggeblasen. Habe zwei Stunden gebraucht, um mir einen Joint zu bauen, weil mir das Zeug immer wieder hingefallen ist. Wir funktionierten zwar noch als Mutter und Vater, aber die Liebe hatte gelitten. Sie grenzte sich stark ab, weil sie sich selbst nicht mehr verletzen wollte, traf dann aber eine sehr gute Entscheidung: Sie fuhr mit unserem Kind vier Wochen weg und gab mir die Chance, mich in dieser Zeit erneut substituieren zu lassen. Ein geschickter Schachzug, denn wenn sie darauf gedrungen hätte, dass ich eine Therapie mache, hätte ich es wohl sein gelassen. So aber lag mein Schicksal in meinen Händen. Und ich habe mich für sie und unsere Familie entschieden. Vergangenes Jahr sind wir zusammen mit unseren Söhnen um das Mittelmeer und Schwarze Meer gefahren. Wir hatten tolle Erlebnisse, großartige Begegnungen - und unsere Beziehung konnte heilen.

Heute lasse ich selbst vom Haschisch konsequent die Finger. Ich muss bei allem aufpassen: beim zu lange vorm Laptop sitzen, Kaffeetrinken oder sonst was. Zwar gehe ich in die Kontaktläden, aber mit einer anderen Einstellung. Abhängig bleibe ich. Würde ich wieder etwas konsumieren, wäre ich sehr schnell wieder drin.

Seit gut zwei Jahren bin ich komplett clean. Stück für Stück habe ich mich wieder herausgekämpft, um da zu stehen, wo ich jetzt bin: ohne Schulden, ohne Hepatitis-C-Erkrankung, mit sauberem Führungszeugnis. Mit meiner Freundin habe ich zwei wundervolle Söhne, mache Musik mit meiner Band und engagiere mich in der Drogenhilfe. Ein Bekannter nannte mich mal den 'glücklichsten Junkie' der Welt. Dem kann ich inzwischen zustimmen."

Die Serie mit dem Namen "ÜberLeben" ist auch im Internet mit weiteren Folgen zu finden unter www.sz.de/thema/überleben. Donnelly spielt an diesem Dienstag beim Drogentotengedenktag von 11 bis 13 Uhr am Odeonsplatz.

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