SZ-Serie: Münchner Kioskgeschichten, Folge 8:Die Lust am Lesen bleibt

Vieles verändert sich im Kioskgeschäft, manches nicht. Deshalb hat Uwe Siems etwa 3000 Publikationen vorrätig

Von Andreas Schubert

Stammkunden finden sich manchmal schnell. Erst im vergangenen Herbst hat der Kiosk von Uwe Siems im Marienplatz-Zwischengeschoss nach dessen Runderneuerung eröffnet. Und die Mitarbeiterinnen wissen inzwischen, wer von den regelmäßigen Kunden welche Zigarettenmarke oder welche Zeitschriften bevorzugt. Und das bei einem nicht versiegenden Strom an Laufkundschaft, die natürlich dieser Bestlage zu verdanken ist.

Den Zuschlag für den Marienplatz zu bekommen, war für Uwe Siems ein Glückstreffer. Beworben hatten sich natürlich mehrere Kioskbetreiber. Dass ausgerechnet er erfolgreich war, freut den Unternehmer. Unter den anderen Bewerbern seien auch erfahrene Kollegen gewesen, erzählt Siems. Aber vielleicht habe auch die Regionalität eine Rolle gespielt. Siems führt eine kleine Kiosk-Kette, die er von seinen Eltern übernommen hat. Den Familienbetrieb gibt es seit 1913. Damals eröffneten die Urgroßeltern Anna und Michael Ebenburger in Dachau einen Zigarrenladen. "Lotto und Zeitungen gab es damals noch nicht", sagt Siems. Es kam bald ein zweiter Laden in Dachau hinzu, das Geschäft entwickelte sich allmählich zum Tabakgroßhandel, der Kaufhäuser und Kolonialwarenhändler belieferte. 1970 eröffneten Uwe Siems Eltern im damaligen Wertkauf (heute V-Markt) im Euroindustriepark die erste Münchner Filiale.

Heute sind es insgesamt sieben Kiosk-Filialen, die je nach Standort ein etwas anderes Sortiment führen. Auch auf dem Oktoberfest hat die Firma einen Stand. Siems, 45, kennt das Geschäft von klein auf. Zwar hat er eigentlich Jura studiert. "Aber von Anfang an stand für mich fest, dass ich in das Geschäft einsteige", sagt er. Vor 20 Jahren war das. Und es wirkt keineswegs wie ein Werbespruch, wenn er davon spricht, seinen Job mit "Herzblut" zu machen. "Ich bin damit aufgewachsen", sagt er. Und das, obwohl seine Branche nicht wirklich eine leichte ist. Die Zahl der Raucher, die bei Siems Zigaretten kaufen, ist seit Jahren gesunken. Den Umsatz stabil halten vor allem Zuwanderer aus Ländern, in denen noch mehr geraucht wird als hierzulande. Aber Siems rechnet schon damit, dass die Einführung der Schockbilder auf den Zigarettenschachteln noch mehr Menschen vom Rauchen abhalten wird.

Veränderungen gab es aber immer. Irgendwann haben sie sich vom Geschäft mit den Zigarettenautomaten verabschiedet, da es unrentabel geworden war. Vor 20 Jahren etwa brachten die Automaten noch 30 Prozent des Umsatzes im Zigarettenhandel, heute liege er bei unter zehn Prozent sagt Siems. Es gab aber auch positive Veränderungen, heute sei vieles leichter geworden. Lottoscheine etwa werden elektronisch erfasst und geht ein beliebter Zeitungstitel aus, so meldet die Kasse automatisch zweimal am Tag an den Grossisten, dass Nachschub fällig wird. Eines sei aber gleich geblieben. Die Lust am Lesen hätten die Leute noch lange nicht verloren, sagt Siems. Etwa 3000 verschiedene Publikationen haben sie im Kiosk am Marienplatz vorrätig. Das ist viel Lesestoff auf gerade mal 70 Quadratmetern Verkaufsfläche. Wer sich ein bisschen in den Regalen umschaut, merkt, dass es für eine Unmenge an sehr speziellen Interessen auch eine Unmenge an sehr speziellen Magazinen gibt - ob sich ein potenzieller Leser nun für eine besondere Gangart des Heavy Metal interessiert, für ausgefallene Ziergärten oder alte Autos. Und auch wenn die Auflagen von großen Zeitungen und Magazinen seit Jahren zurückgehen, kommen vor allem immer mehr Fachmagazine für ein Nischenpublikum auf den Markt, weiß Siems. "Auf einen sinkenden Absatz wird mit mehr Angebot reagiert", sagt er.

Natürlich kann auch ein langjähriger Kioskbetreiber unmöglich alle neuen Magazine kennen, von denen nicht wenige schon nach kurzer Zeit wieder vom Markt verschwinden. Aber einen Überblick hat Uwe Siems schon. Und so weiß er, welche Mode- oder Musikmagazine er an welchem Standort anbieten kann, oder welche internationalen Zeitungen ins Sortiment gehören. "Die wichtigen Sachen muss man da haben, sonst geht der Kunde halt woanders hin und kommt auch nicht mehr." Konkurrenzdruck gibt es auch in der Kioskbranche. "Der Wettbewerb ist härter geworden", sagt Siems. So sei es wichtig, dass die Mitarbeiter "im Idealfall" wissen, ob ein Titel vorrätig ist, wenn ja, in welchem Regal er steht, oder wann ein Titel erscheinen wird. Außerdem sei es wichtig, auf das Zeitgeschehen zu reagieren, etwa, indem man eine Gondel (so heißen die Zeitschriftenregale) mit Publikationen zu einem bestimmten Thema bestücke. "Wenn jetzt dann die EM kommt, werden wir unsere Fußballsachen nicht verstecken", sagt Siems. Potenzielle Leser neugierig auf ein Thema und sie so zu Käufern zu machen, "das ist die Kunst". Kunden, die eine Zeitschrift nur durchblättern und womöglich gar nicht kaufen, werden deshalb ausdrücklich geduldet.

Der Kioskchef sieht die Zukunft gelassen. Die Konkurrenz durch das Online-Geschäft sei nicht so deutlich zu spüren wie in anderen Branchen. Zwar kann man schon seit Jahren online Lotto spielen. "Die meisten Lottospieler kommen aber lieber in den Laden, füllen ihren Schein dort aus und wollen auch ihren Gewinn gleich mitnehmen." Lotto sei ein wichtiges Standbein für Kioskbetreiber. Gerade in Bayern werde nach wie vor fleißig gespielt.

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