Bayerische Staatsbibliothek:Homer und der rasende Igel

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Im Büro von Generaldirektor Klaus Ceynowa findet sich keine Literatur - stattdessen zwei Figuren aus einem japanischen Videospiel und das Plakat eines amerikanischen Actionfilms.

Von Martina Scherf

Klaus Ceynowa. (Foto: Robert Haas)

Die Bayerische Staatsbibliothek an der Ludwigstraße ist ein erhabener Ort. Vor der Tür des klassizistischen Baus begrüßen, in Stein gemeißelt, griechische Denker die Besucher, drinnen führt eine Ehrfurcht einflößende Freitreppe hinauf zum Direktorium. Die Stabi ist eine der größten Bibliotheken Europas, sie hat Generationen von Studenten durch ihr Studium gelotst. Forscher finden dort zu jeden Thema Literatur. Und das Chefzimmer? Steckt das etwa auch voller Bücher? Von wegen: Außer ein paar Katalogen und Fachpublikationen nichts als Leere. "Ich weiß ja elf Millionen Bände hinter mir, da brauch' ich nicht auch noch welche in meinem Büro", sagt Klaus Ceynowa.

Keine Neuausgabe von Platon, Kant oder Popper? Schließlich hat Ceynowa Philosophie studiert und über die Ursprünge des philosophischen Pragmatismus promoviert. Keine mittelalterliche Inkunabel? Nicht mal ein Lieblingsroman? Nein. Stattdessen: zwei Figuren aus dem japanischen Videospiel Shenmue. "Ein Klassiker", sagt der Bibliothekschef, der in diesem Jahr 60 wurde, "mit das Beste, was es gibt. Diese Woche kommt Teil 3 auf den Markt." Beim Release eines neuen Spiels, das ihn interessiert, kann er schon mal mehrere Stunden am Stück zocken, sagt er. Früher habe er noch mit seinem Sohn mithalten können, das sei jetzt aber vorbei. Es fehlt die Zeit, aber die Faszination ist geblieben.

Ryo, der gute Held aus Shenmue, steht mit seinem Gegenspieler auf einem Sideboard hinter dem Schreibtisch. Darüber hängt ein Gemälde von Stefanie Schneider mit Palmen vor tropischem Himmel - "Miami Vice"-Feeling. "Ja, das war tatsächlich die Lieblingsserie meiner Jugend", sagt Ceynowa und lächelt. "Ich wollte mit dem Bild aber auch die Weite des Raums betonen - und auch unsere internationale Bedeutung. Denn dass wir die Bayerische Staatsbibliothek sind, das sieht ja ohnehin jeder, der das Haus betritt."

Die barocken Möbel seines Vorgängers hat Ceynowa entfernt, sein Schreibtisch ist schlicht und weiß. Und wer steht da auf dem Fensterbrett? "Na was, den kennen Sie nicht?", fragt der Bibliothekschef verwundert zurück, "das ist Sonic, the Hedgehog, der rasende Igel. Er sagt mir jeden Tag: Du musst schnell entscheiden!"

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(Foto: Robert Haas)

Der Generaldirektor mag es hell und transparent. Sein Schreibtisch ist immer aufgeräumt.

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Klaus Ceynowa ist bekannt für schnelle Entscheidungen. Dafür steht Sonic, der rasende Igel aus dem gleichnamigen Comic.

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Auch Ryo, der einsame Held aus dem japanischen Computerspiel Shenmue, ziert sein Büro.

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(Foto: Robert Haas)

Das Bücherregal hingegen ist weitgehend leer, es finden sich nur ein paar Kataloge von hauseigenen Ausstellungen darin.

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(Foto: Robert Haas)

Am Fensterbrett neben dem Besprechungstisch wacht Homer über die Gespräche.

Dafür ist der Chef bekannt, dafür schätzen ihn seine Mitarbeiter. Seinen Schreibtisch räumt er jeden Abend auf, um keinen Ballast auf den nächsten Tag zu schieben. Papierakten oder Leitz-Ordner hasst er, alles, was er braucht, ist in seinem Computer gespeichert - "3000 bis 4000 Ordner und Unterordner". Und was hängt da in der Ecke ganz hinten, nur vom Schreibtisch aus zu sehen? "John Wick, Chapter 3: Parabellum", ein Filmplakat. Dutzende Pistolenläufe zielen auf den armen Keanu Reeves. "Das Büro hier ist ja auch kein konfliktfreies Terrain", sagt Ceynowa und lacht. Einer gegen alle, er mag solche ironischen Anspielungen.

Um lange Wege zu sparen, ließ der Chef einen großen Besprechungstisch in sein Büro stellen, an dem bis zu 18 Leute Platz haben. Das können Mitarbeiter aus dem Haus sein, Vertreter des Wissenschaftsministeriums, Lizenzgeber, Kollegen aus Wien, Paris oder Stanford, mit denen die Stabi Kooperationen unterhält.

Ceynowa hat schon vor Jahren die Digitalisierung der Bibliothek vorangetrieben und einen Millionendeal mit Google eingefädelt. Das hauseigene Digitalisierungszentrum für komplizierte Aufträge ist hoch spezialisiert. Die Themen reichen von der Wahrung eines Kulturguts wie der Gutenberg-Bibel bis zu Big Data, der Auswertung von Milliarden Daten. Es geht um Restaurierung und Versicherungen, um weltweite Forschungskooperationen, um die Erschließung von Neuzugängen wie das Stern-Foto-Archiv in diesem Jahr oder um die ständige Erweiterung des Kulturportals Bavaricon: Bayerns Kulturschätze auf dem Smartphone, jetzt auch in 3-D.

Am Fenster steht eine Büste von Homer, eine Leihgabe. Er mag für die Verankerung in der Tradition abendländischen Denkens stehen. Auch noch im Cyber-Zeitalter, auch wenn die Stabi gerade ihr 2,5-millionstes Digitalisat ins Netz gestellt hat, auch wenn Schriften heute Contents heißen. "Content braucht immer einen Kontext", sagt Ceynowa, "und da sind wir mehr gefragt denn je."

Der Stabi-Chef ist längst kein Bibliothekar im klassischen Sinne mehr. Und Ceynowa hat sich schon früh auf die Cyber-Welt eingelassen. "Man muss sich auskennen, um entscheiden zu können", sagt der studierte Philosoph und leidenschaftliche Gamer. Dann geht er zur meterlangen, eintönig braunen Schrankwand und öffnet eine Tür. "Wie in jedem Direktionszimmer gibt es einen Fluchtweg aus meinem Büro", sagt er und schmunzelt. Tatsächlich, ein verborgener Ausgang führt in den Flur. Falls es mal zu viel wird - und Ryo nicht mehr seine schützende Hand über ihn hält.

© SZ vom 28.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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