SZ-Serie: München natürlich:Liebestolle Leisequaker

SZ-Serie: München natürlich: In praktisch allen stehenden Gewässern, zum Beispiel in der Aubinger Lohe, sogar in Fischteichen können Erdkröten überleben.

In praktisch allen stehenden Gewässern, zum Beispiel in der Aubinger Lohe, sogar in Fischteichen können Erdkröten überleben.

(Foto: Christian Köbele / LBV)

Das öffentliche Leben pausiert in der Stadt, aber die Natur lebt gerade wieder auf - und mit ihr ein hässlich-distinguiertes Geschöpf.

Von Thomas Anlauf

Frühsommer im Februar, Schneeschauer Ende März: Dieser verrückte Frühling macht Tieren und Pflanzen ganz schön zu schaffen. Igel sind zu früh aus dem Winterschlaf erwacht und tapsen abends durch die Kälte auf der Suche nach Nahrung. Die ersten Frühblüher sind in voller Pracht, doch der Nachtfrost nach sehr milden Tagen setzt ihnen gewaltig zu. Auch die Ausgangsbeschränkungen wegen der Corona-Krise verändern das Leben der Stadttiere. Im geschlossenen Botanischen Garten etwa genießen die Gänse die Ruhe - während die Botaniker dort mit Spannung auf ein Ereignis warten, das sich jedes Jahr fast auf den Tag genau ereignet: das Erblühen des Aronstabs. Während das städtische Leben weitgehend lahmgelegt ist, lebt die Natur gerade auf. Etwa 10 000 Tierarten leben hier und unzählige Pflanzenarten sind in der Stadt heimisch. In München ist die Natur zu Hause.

Christian Köbele steht mit einem Kescher in einem flachen Tümpel und schaut sich um. Vor Kurzem haben hier tief im Westen Münchens Erdkröten gelaicht. Nur von Nahem ist das Gequake der liebestollen Kröten zu hören, sie sind ausgesprochene Leisequaker. "Die kommen auch in Gärten vor", sagt Köbele. Dort werden sie von Naturfreunden durchaus geschätzt. Die etwas plump wirkenden Amphibien machen nicht so einen Lärm wie etwa der Laubfrosch. "Der kann schon ein bisserl nerven", sagt Köbele und lacht. Wenn der Amphibienexperte des Landesbund für Vogelschutz (LBV) im Frühjahr zu den Münchner Biotopen geht und nach dem Rechten schaut, hört er den Laubfrosch schon von zwei Kilometer Entfernung. Die Erdkröte ist in all ihrer Hässlichkeit - bis ins Mittelalter galt Bufo bufo als hässlichstes Geschöpf der Welt - zumindest akustisch erstaunlich distinguiert.

München natürlich

Auch in der Stadt sind viele Tiere und Pflanzen heimisch. SZ-Serie, Folge 1

Im März, wenn die Erdkrötenmännchen auf Brautschau gehen, können sie allerdings schon etwas aufdringlich werden. Die Männchen klammern sich in ihrer Sehnsucht an alles, was sie zwischen die Finger bekommen. Experten berichten, dass sie sogar in ihrer Not große Fische besteigen und sich an ihnen festklammern. Auch andere Krötenmännchen werden dann zwangsbeglückt, diese wehren sich dann aber mit einem aufgeregten Quaken, das sich nach "ük ük ük" anhört. An diesem kühlen Märztag hört Christian Köbele allerdings nichts dergleichen. Es ist den Kröten schlicht zu kühl, auf den meisten der kleinen Tümpel am Lohwiesengraben in Aubing hat sich über Nacht eine dünne Eisschicht gebildet.

Doch zum Liebesspiel haben sich die Erdkröten hier tief im Westen bereits getroffen. Köbele, der auch Vorsitzender im Landesverband für Amphibien- und Reptilienschutz in Bayern (Lars) ist, hat in den Tümpeln lange Laichschnüre entdeckt, die Paarung scheint geglückt zu sein. Dafür verlassen die Erdkröten ihre Winterquartiere, wo sie unter Wurzeln, im Laub oder aber Höhlen von kleinen Säugetieren leben, und hüpfen zu ihren angestammten Tümpeln und Teichen. "Die wissen schon ungefähr, wo ihre Gewässer sind", sagt Köbele, "aber wenn sie vorher ein anderes geeignetes finden, bleiben sie auch dort." Das klingt nicht nur genügsam, das ist es auch.

Christian Köbele vom Landesbund für Vogelschutz mit Kescher auf der Suche nach Fröschen und Kröten (gefunden hat er fürs Foto leider keine, er meinte, den wäre es zu kalt im Wasser, das meist gefroren war) in den Amphibientümpeln im Lohwiesn-Graben

Einsatz im Tümpel: Christian Köbele schaut nach Laich der Erdkröten.

(Foto: Florian Peljak)

Die Erdkröten gelten als nicht anspruchsvoll. Die Tiere, die mit ihren neun bis elf Zentimetern Länge zu den größten Kröten in Europa zählen, fühlen sich in fast jedem stehenden Gewässer wohl, sogar in Fischteichen. Das liegt daran, dass die Kaulquappen von den Fischen meist nicht angerührt werden, denn Erdkröten sondern einen Giftcocktail aus, der sie für Fische nicht nur ungenießbar macht, sondern der auch tödlich sein kann. "Die schmecken einfach nicht", sagt Köbele.

In München kommen die Erdkröten ebenso wie die Grasfrösche noch relativ häufig vor. Sie lieben lichte Wälder wie die Aubinger Lohe und nahegelegene Laichgebiete wie die Tümpel im Münchner Westen, wohin sie sich im Spätwinter auf Wanderschaft begeben. Das ist für sie auch die gefährlichste Phase ihres erstaunlich langen Lebens, Erdkröten können bis zu zwölf Jahre alt werden. Der größte Feind der Erdkröten ist der Mensch. Jedes Frühjahr sterben Tausende Kröten beim Überqueren von Straßen, wenn sie in ihre Laichgebiete hüpfen. Naturschützer werden manchmal als "Froschträger" belächelt, wenn sie den Erdkröten über die Straße helfen. Auch frei laufende Hunde können den Amphibien gefährlich werden, wenn sie in Tümpeln baden. Dadurch kann der Laich zerstört werden und durch den aufgewirbelten Schlamm können die Kiemen der Kaulquappen geschädigt werden.

Wenn die Erdkröten ihre lebensgefährlichen Wanderungen überstanden haben, sind sie weitgehend in Sicherheit. Denn wegen ihres Gifts meiden viele Tiere die Amphibien. Sollte sich doch mal eine Schlange nähern, bläht sich die Erdkröte mächtig auf, um größer zu wirken. Das schreckt nicht immer den Feind ab, doch so eine Erdkröte ist definitiv kein Leckerbissen.

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